Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
wiederzuhaben.
Wir banden das Boot am Kai zwischen zwei Piratenschiffen fest, die von Rankenkrebsen bedeckt waren und Blutrausch und Seekobold hießen. Einige der Besatzungsmitglieder grinsten uns von höher gelegenen Decks mit interessierter Anzüglichkeit an. Am Ende des Kais saß ein Mann gegen einen Pfeiler gelehnt, eine Ecke seines Dreispitzes war nur noch ein angesengtes Loch, zwischen seinen Beinen stand eine Flasche Rum.
»Hey! Kannst du ein Auge auf dieses Boot werfen? Es gehört Burn Healy«, rief ich, hoffentlich laut genug, um auf den anderen Schiffen gehört zu werden. Ich deutete mit dem Daumen auf den Umriss der Grift , die sich am Horizont abzeichnete.
Bis er die Grift in der Ferne erspähte, machte der schmuddelige Mann einen amüsierten Eindruck. Danach schien er Angst zu haben. Er nickte eilig.
»Wird gemacht.«
»Vielen Dank.«
Wir verließen den Kai und liefen die Hauptstraße hinauf. Millicent hielt sich die Hand vors Gesicht.
»Um Himmels willen! Was ist das für ein Gestank?«
»Eine Kombination aus mehreren Dingen«, erklärte ich. »Pass auf, wo du hintrittst.«
Am Stadtrand gab es einen Bäcker, bei dem wir anhielten, weil er meine Familie kannte und mir vermutlich ein paar Laibe Brot auf Kredit geben würde.
Er hatte nur noch ein Auge, doch als er mich sah, wurde es vor Überraschung riesengroß.
»Dachte, du bist tot«, sagte er. »Das hat der Fettsack nämlich behauptet.«
»Welcher Fettsack?«
»Weißt schon, wie heißt der doch gleich? Euer Kindermädchen.«
Percy. Einen Moment lang hoffte ich – gegen jede Vernunft, ich weiß –, dass er nur zurückgekommen war, um seine Bücher zu holen.
»Wie lange ist das her?«
»Tauchte vor ungefähr ’ner Woche hier auf. Hatte dreißig Soldaten dabei. Ließ sie mit ’ner Wagenladung Schippen schnurstracks den Berg hochmarschieren.«
Mir gefror das Blut in den Adern. »Dreißig Soldaten?«
Der Bäcker lächelte. »Keine Angst. Die meisten sind schon wieder weg. Ripper Jones hat ungefähr eine Tagesreise von Morgenröte entfernt ein Passagierschiff geplündert. Die Soldaten wurden zurückgerufen, damit sich die Geldsäcke sicher fühlen konnten. Man munkelt, dass Healy die Finger im Spiel hatte und dass sich deswegen ein Krieg zwischen ihm und Jones zusammenbraut. Schlecht für uns, wenn es auf die Küste überschwappt.«
»Und die meisten Soldaten sind wieder weg?«
»Ja. Aber nich alle.«
»Wie viele sind noch auf dem Berg?«
»Keine Ahnung. Halbes Dutzend?«
Ich nickte. Ein halbes Dutzend war zwar übel, aber besser als dreißig. »Kann ich bitte drei Laibe Brot anschreiben lassen?«
»Kommt drauf an. Suchen die Soldaten nach dir?«
»Nich mehr lange«, knurrte Guts.
Der Bäcker lachte. »Extrapunkte für große Klappe«, sagte er, nahm drei Brote aus dem Regal und drückte sie uns in die Hand.
»Is dein Dad auch zurück? Und deine Geschwister?«
»Nein«, antwortete ich. »Sie sind tot.«
»Warst du auch bis vor ’ner Minute.« Er tätschelte mir den Rücken, als er uns zur Tür brachte. »Versuch, am Leben zu bleiben – du schuldest mir ’nen Zehner.«
»Zehn? Für drei Laibe?«
»Der Fettsack hat auch anschreiben lassen.«
Das Brot war erst einen halben Tag alt und innen noch weich. Wir aßen es, während wir die vertraute ausgefahrene Straße durch den schwülen, dschungelähnlichen Wald hinaufliefen. Die ganze Zeit über spitzte ich die Ohren, ob irgendjemand aus der anderen Richtung den Berg herunterkam. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit Percy und den Soldaten tun sollte, aber ich wollte auf keinen Fall einfach so in sie hineinrennen.
Millicents Laune hatte sich gebessert, seit wir Galgenhafen hinter uns gelassen hatten und sie ihre Schiffsjungenkleider ausziehen konnte. Sie sprang in großen Sätzen vor uns her, schwang auf ihre selbstbewusste Art die Arme und rannte von Zeit zu Zeit zum Straßenrand, um die fremden Rufe der Waldvögel besser zu hören.
Guts hielt im Laufen sein Messer umklammert. »Wer is der Fetti?«
»Mein ehemaliger Lehrer«, sagte ich.
»Steht der vielleicht auf deiner Seite?«
»Kaum«, sagte ich.
»Dann müssen wir ihn kaltmachen. Hat der Schwächen?«
»Er ist fett, faul und dämlich.«
»Wie hat er dann dreißig Soldaten dazu gebracht, ihm zu folgen?«, fragte Millicent.
Die Antwort war so offensichtlich, dass ich wütend wurde. »Weil er für deinen Vater arbeitet!«
»Das weißt du nicht«, sagte sie starrsinnig.
»Verdammt, Millicent!«
»Dachte, das
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