Die Legenden der Vaeter
wäre froh, auch aus Ihrem Leben und aus Ihrem Beruf Näheres zu erfahren. Wenn Sie den Wunsch haben, mir zu antworten, tun Sie es bitte. Ich würde mich freuen.«
Es ist der einzige Brief meines Vaters an Józef, der erhalten ist. Er hatte einen Durchschlag angefertigt, mit einem Blatt Kohlepapier aus der flachen, grünen Pappschachtel, die neben seiner Schreibmaschine auf einem kleinen Beistelltisch unter dem Bücherregal lag. Später sollte er die Kopie zu den anderen Briefen in die Zigarrenkiste legen.
|98| J ózefs Schwester Anna hatte mir bei meinem ersten Besuch in Steblau ein Foto von ihrem Bruder geschenkt. Es ist vor einem neutralen Hintergrund aufgenommen und zeigt Józef als Soldaten. Er trägt auf dem Bild eine dunkle Lederjacke, Handschuhe und einen Helm mit dem polnischen Adler und posiert mit seinem Karabiner vor der Kamera. Am nächsten Tag nahm ich das Foto mit zu
Antyk-Militaria
, einem kleinen Laden, den ich in Krakau am Rand der Altstadt entdeckt hatte. In gläsernen Vitrinen lagen Messer und Dolche, verrostete Pistolen und blechernes Essgeschirr; staubige Uniformen, Kampfanzüge und Munitionstaschen aus rissigem Leder hingen an wackligen Kleiderständern. Der Besitzer sprach Deutsch. Die besten Geschäfte, erklärte er mir, mache er mit älteren Männern aus meinem Heimatland, den letzten der ehemaligen Wehrmachtsoldaten, die in Polen auf der Suche nach Souvenirs aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs seien.
Aus einem überladenen Regal hinter der Ladentheke holte er ein voluminöses Nachschlagewerk mit Uniformen hervor, blätterte eine Zeitlang darin, verglich Józefs Jacke, seinen Helm und die Abzeichen, die auf dem Foto zu erkennen waren, mit den Abbildungen im Buch. Mein Großvater, sagte er, habe zur
1 Samodzielna Brygada Spadochronowa
gehört, der 1. Unabhängigen Fallschirmjägerbrigade |99| der polnischen Exilarmee. Das war der erste Hinweis. Zwei, drei kurze Sätze aus den Briefen kamen dazu, und schließlich konnte ich Józefs Spuren, die sich bei Saint-Lô in der Dunkelheit der Nacht verloren hatten, wieder aufnehmen.
Die 1. Unabhängige Fallschirmjägerbrigade war im Jahre 1941 aus polnischen Soldaten zusammengestellt worden, die nach der Niederlage gegen Deutschland über Rumänien und Ungarn nach Frankreich gelangt waren und von dort weiter nach Großbritannien. Die Einheit hatte zunächst nur eine einzige Aufgabe. Ihre Angehörigen sollten über Polen abgesetzt werden, um die Heimatarmee bei dem lange geplanten Aufstand in Warschau zu unterstützen. Drei Jahre hatten sich die Fallschirmjäger in Ringway bei Manchester darauf vorbereitet, doch als sich die Heimatarmee in Warschau im August 1944 gegen die deutschen Besatzer erhob, warteten die polnischen Soldaten vergeblich auf den Einsatzbefehl.
Es ging um Politik. Die britische Regierung, unter deren Oberbefehl die Soldaten der Exilarmee standen, wollte sich nicht auf ein Kräftemessen mit Stalin einlassen, der seine eigenen Pläne für die Zukunft Osteuropas hatte. Die Fallschirmjäger wurden nicht in Polen, sondern in den Niederlanden eingesetzt. Während die Wehrmacht und die Waffen-SS in Warschau den Aufstand der Heimatarmee niederschlugen, sollten die polnischen Soldaten in der Nähe der Stadt Arnheim eine Brücke über den Rhein sichern und den Vormarsch der britischen und amerikanischen Bodentruppen Richtung Deutschland vorbereiten.
Es sah ganz so aus, als ob die kindlichen Hoffnungen meines Vaters sich erfüllt hätten. Die Schlacht bei Arnheim gehört genau wie der Angriff auf das Kloster Monte Cassino |100| zum Mythos der Exilarmee, und die Angehörigen der 1. Unabhängigen Fallschirmjägerbrigade werden in Polen bis heute als Helden verehrt. Auch er sei dabei gewesen, schrieb Józef an meinen Vater. »Ich habe als Fallschirmjäger bei Arnheim gekämpft.« Es war eine der wenigen Stellen, in denen er in seinen Briefen überhaupt auf den Zweiten Weltkrieg einging. Zuletzt war er also doch noch auf der richtigen Seite gelandet.
Der Einsatz war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Im September 1944 landeten die ersten Lastensegler der polnischen Truppe am nördlichen Rheinufer. Die Fallschirmjäger sollten dort auf die britischen Einheiten treffen, die vor ihnen eingetroffen waren. Doch stattdessen wurden sie unter Beschuss genommen. Eine Panzerdivision der Waffen-SS, die von der Feindaufklärung übersehen worden war, eröffnete das Feuer. Weitere Kompanien wurden eingeflogen und am Südufer des Rheins
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