Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
dass sie einen freien Nachschubweg von hier bis Xetesk bekommen. Ich werde nicht nachgeben.«
»Sie brechen gleich durch und haben so oder so gewonnen.« Indesis Stimme war tonlos, wie tot. »Ihr versteht es nicht.«
»Ich verstehe, dass wir es uns nicht erlauben können, diese Stadt zu verlieren. Das ist es, was ich verstehe.«
Aus dem Befehlsstand drang ein durchdringender Schrei herüber.
»Was, zum …«
Doch Indesi hörte nicht mehr zu. Er drehte sich um, rannte zur Tür und rief etwas in den von Laternen erhellten Raum hinein.
»Baut das Verteidigungsnetz auf. Keine Lücken, zwei
Schichten.« Er sah sich über die Schulter zu Senese um, bevor er den Raum betrat. »Es kommt. Ich habe Euch gewarnt.«
Senese schauderte und rannte zurück zur Front. Vielleicht hatten sie noch eine Chance. Immer noch rannten Männer über den kleinen Hof zu der Linie, die er verteidigte. Die feindlichen Magier mussten direkt hinter den Protektoren stehen. Das Ziel des Spruchs musste sich in ihrer Sichtweite befinden.
Er öffnete den Mund und wollte etwas rufen, doch der Ruf blieb ihm im Hals stecken. Ein blaues Licht, heller als die Sonne, erfasste die Häuser vor ihm und warf tiefe Schatten in die Gassen, hinter die Bäume und auf den Hof. Die Kampfgeräusche veränderten sich, Stimmen verloren ihre Autorität, die Klingen wurden nur noch kraftlos geführt.
»Nein!«, rief er. »Kämpft. Ihr müsst kämpfen!«
Er rannte weiter, doch seine Männer wankten. Die Protektoren würden sie abschlachten. Dann bewegten sich auch die Protektoren nicht mehr und gaben sich damit zufrieden, einfach dazustehen und zu beobachten. Allzu schnell wurde deutlich, was sie in Bann hielt.
Hinter den Bäumen und den Gebäuden stieg eine Feuerkugel empor, die im Dunkelblau von Xetesk gefärbt und von Funken und Entladungen umgeben war, die wie Blitze aussahen, bei denen es sich aber, wie Senese wusste, um instabiles Mana handelte.
»Oh, ihr guten Götter«, sagte Senese und starrte die Kugel an, die schwerelos aufstieg, grell leuchtend und größer als ein Schiff, Ehrfurcht gebietend und lähmend. Seine Männer wollten fliehen. »Bleibt unter der Abschirmung, das ist eure einzige Chance!«
Während die Xeteskianer nur dastanden und zuschauten,
stoben die Dordovaner in der Stille, die plötzlich eingetreten war, unter der herabstürzenden Feuerkugel kopflos auseinander.
»Bleibt stehen!«, rief Senese, doch sie hörten nicht auf ihn.
Waffen wurden voller Angst fallen gelassen, tapfere Männer strauchelten und fielen hin, versuchten sich strampelnd in Sicherheit zu bringen und nahmen die einfache Wahrheit nicht zur Kenntnis. Es gab keinen Ort, an den man fliehen konnte. Hinar trat an seine Seite.
»Wo sind die Magier?«, überbrüllte er das Trampeln der Füße und die Angstschreie.
»Sie versuchen uns abzuschirmen. Betet zu den Göttern, dass sie es schaffen.«
Hinar nickte und wich mit seinem Vorgesetzten zurück, während über ihnen die Kugel beschleunigte und, obwohl es unmöglich schien, sogar noch wuchs, als sie über die Köpfe der Xeteskianer hinwegflog.
»Mach schon, Indesi«, keuchte Senese. »Nun mach schon.«
Die Kugel traf den äußeren Schild der Dordovaner. Mana flackerte und spuckte, die Kugel breitete sich auf der gekrümmten Oberfläche aus und hüllte sie ein. Senese spürte eine Woge großer Hitze, als der Schild nachgab.
Er hob instinktiv die Hände über den Kopf und duckte sich, doch die Kugel bewegte sich nicht mehr weiter, sondern traf hart auf den zweiten Schild. Es war eine Hitze wie im Innern eines Ofens, die kochende Hitze der Wüste auf dem Südkontinent, und es wurde immer schlimmer. Aus dem Befehlsstand hörte Senese Schreie und Rufe, die die Magier zu noch größerer Anstrengung anstacheln sollten.
»Sie schaffen es nicht«, sagte Senese, endlich doch zur Flucht entschlossen. »Lauft.«
Die Männer drehten sich um, doch in diesem Augenblick brach auch der zweite Schirm zusammen, und die Feuerkugel stürzte in den Hof herab. Senese wurde vom Luftzug von den Beinen gerissen und prallte hart gegen die Mauer eines Gebäudes. Er verrenkte sich den Rücken und lehnte gekrümmt und halb sitzend am Haus, atemlos und benommen. Dann sah er, wie die Kugel auf den Boden prallte.
Flammen züngelten wie eine Flüssigkeit über das Pflaster, brandeten an den Wänden der Gebäude empor, brachen durch Fenster ins Innere und griffen die geschwächten Balken an. Auf der anderen Seite des Hofs fiel ein beschädigtes
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