Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
ersten Schätzungen zu bekommen«, sagte Dystran. »Aber es kann noch eine Weile dauern, falls uns das Aryn Hiil nicht auch einen Weg weist, wie wir die Formen der Sprüche anpassen können, die uns bereits bekannt sind. Ihr wisst ja selbst, wie langwierig die Forschung ist, wenn man ganz von vorne anfangen muss.«
Ranyl nickte schwach. »Ich nehme doch an, Ihr verbringt viel Zeit mit der Gruppe aus Herendeneth, wenn Ihr nicht an meiner Seite wacht?«
Dystran zuckte mit den Achseln. »Die wahre Macht liegt in den Dimensionen. Was die Kaan und die Al-Drechar uns erzählt haben, eröffnet uns viele Möglichkeiten. Ich sehe die Zeit kommen, da ich Dordover niederwerfen könnte, ohne die Katakomben zu verlassen. Doch dies liegt noch weit in der Zukunft und hilft uns momentan nicht.«
»Ist überhaupt schon etwas Nützliches herausgekommen?«
»Oh, gewiss. Es ist nur eine Schande, dass das Eine mit den Al-Drechar sterben wird. Wir werden bald genug über
die Ausrichtung der Dimensionen wissen. Ich werde jederzeit nach Belieben einen Weg öffnen und Sha-Kaan in seine eigene Welt zurückschicken können. Andererseits könnte ich auch alle Protektoren freigeben – oder neue erschaffen. Die Dämonen haben kein Monopol mehr auf das Verständnis der Dimensionen.«
»Das ist gut«, sagte Ranyl. »Dann kann ich zufrieden sterben.«
Der Hausgeist regte sich unruhig und machte Anstalten, seine abscheuliche Dämonengestalt anzunehmen. Dystran wusste, wie sich das Wesen fühlte. Ranyls Ende war nahe.
»Schaffen wir das?«, fragte der Unbekannte, als sich der Rabe in der Abenddämmerung versammelt hatte, um zu essen und zu reden.
Die Stunden nach dem Urteilsspruch waren schwierig und in gewisser Weise auch aufschlussreich gewesen. Alles hatte davon abgehangen, dass Heryst Hirads Entschuldigung für seinen Ausbruch annahm. Er hatte dies ohne großes Hin und Her getan und seinen vorherigen Befehl, der den Raben bis Einbruch der Dunkelheit aus der Stadt verbannt hätte, widerrufen.
»Das war eigenartig«, hatte Hirad gesagt, und der Unbekannte, der mitgekommen war, hatte zugestimmt.
»Am liebsten hätte er sich wohl bei uns entschuldigt«, hatte Hirad hinzugefügt. »Seine Hände sind gebunden. Er fühlt sich bei alledem so schlecht wie wir, aber in seiner Stadt kann jederzeit das Chaos ausbrechen, wenn er nicht den Eindruck erweckt, auch in dieser höchst schwierigen Situation unbestechlich zu urteilen.«
Der Rabe hatte die Erlaubnis bekommen, seine Totenwache vor dem Zellentrakt abzuhalten, der mit den Mannschaftsquartieren verbunden war, und anschließend Darricks
Leichnam mitzunehmen. In der Zwischenzeit hatten sie nacheinander unter strenger Aufsicht Darrick besucht. Erienne und Denser hatten die Gelegenheit ergriffen, sich in der Bibliothek umzusehen, und der Unbekannte hatte erkundet, wie die Stimmung unter den Kavalleristen und Wächtern war, die sich noch im Kolleg aufhielten.
»Es ist möglich«, sagte Denser. »Allerdings hängt es davon ab, dass wir in die Zellen gelangen können, ohne einen Spruch zu wirken. Sie beobachten den Mana-Schild über dem Kolleg natürlich sehr genau.«
»Habt Ihr etwas Nützliches in der Bibliothek gefunden?« , fragte Hirad.
»Dies und jenes«, erklärte Erienne. »Du kannst dir aber sicher vorstellen, dass die Archivare sehr genau beobachtet haben, was wir lesen wollten. Das einzig Nützliche ist die Tatsache, dass die Arrestzellen ein wenig außerhalb des Mana-Brennpunkts liegen, der sich mit dem Zentrum des Turms deckt.«
»Ach, das erleichtert mich aber sehr«, erwiderte Hirad.
Denser kicherte. »Du hast nie die Magie studiert.«
»Allerdings«, entgegnete Hirad. »Ich war in meiner Jugend zu sehr damit beschäftigt, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, ganz im Gegensatz zu euch verhätschelten Magiern in den warmen Kollegien.«
»Nun ist mir aber etwas eingefallen«, warf Erienne ein, »das ich fast ohne Nachdenken tun kann.«
Die anderen Rabenkrieger regten sich unbehaglich. Das Wesen der Einen Magie, die Erienne so widerwillig in sich trug, war ihnen allen nicht geheuer. Sie waren mit der Magie der Kollegien aufgewachsen und nahmen sie hin, auch wenn sie diese Kräfte nicht verstanden. Doch das Eine, dieser zur Realität gewordene Mythos, bezog seine Macht nicht nur aus dem Mana, sondern aus allen Elementen,
und stellte eine Kraft dar, über die so gut wie nichts bekannt war.
Zwei alte Elfenfrauen auf der Insel Herendeneth, weit draußen im Südmeer, waren die
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