Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz

Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz

Titel: Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
Vom Netzwerk:
Stadt in der ehemaligen Zeltstadt um. Vom Lager der Armee der Gerechten war kein einziges Stück Leinwand mehr übrig.
    Devun schluckte den bitteren Geschmack herunter und stieß das Tor im Palisadenzaun auf. Unwillkürlich keuchte er. Auch hier war der Boden mit Leichen übersät, an denen sich Wolken von Fliegen labten. Aasvögel pickten und zerrten am schwärenden, verwesenden Fleisch herum. Genau wie draußen waren auch diese Leichen gefleddert worden, doch hier konnte er besser erkennen, welchen Verlauf die Schlacht genommen hatte; eher musste man es wohl ein Gemetzel nennen.
    Die Kämpfe hatten sich auf zwei Stellen konzentriert – eine davon direkt am Tor, wo ein bis zur Unkenntlichkeit verwester Leichenhaufen lag, die zweite lag zu seiner Rechten. Vor den verkohlten Überresten eines zusammengebrochenen Wehrganges war ein Bereich frei geblieben, daneben lag ein weiterer Leichenhaufen. Devun war speiübel. Eilig lief er quer über das Gelände; der Gestank in der warmen Luft war fürchterlich. Gegen die Übelkeit ankämpfend, wedelte er mit der freien Hand vor dem Gesicht, um die Fliegenschwärme zu vertreiben, und suchte sich, so gut es ging, einen Weg zwischen den Toten.
    Vor der Tür, die zur Schreibstube und den Mannschaftsquartieren führte, blieb er kurz stehen. Er ahnte schon, was er drinnen finden würde, wollte sich aber mit eigenen Augen überzeugen. Falls er dort nichts fand, musste er draußen jede einzelne Leiche genau untersuchen.
    Devun stieß die Tür auf, und der Gestank traf ihn mit der
Wucht eines galoppierenden Pferdes. Er würgte und hustete und musste sich an den Türrahmen lehnen, bis er wieder klar sehen konnte und das Kältegefühl etwas nachgelassen hatte. Dann ging er weiter.
    Vor ihm auf der rechten Seite lag die Tür der Schreibstube und die Antwort auf seine Fragen. Ein Zeichen war in die Tür geritzt – unbeholfen, aber unverkennbar. Er spuckte darauf und sah zu, wie der Speichel über das Auge und die Klaue des Rabensymbols rann, dann öffnete er die Tür. Auch die Schreibstube war geplündert worden. Papiere waren auf dem Boden verstreut, Tische und Regale zerstört.
    Links neben der Tür lag ein verwester Kopf, der vom Körper abgetrennt worden war. Devun kniete davor nieder und packte die Haare, die noch auf dem Schädel saßen. Der größte Teil des Gesichts war verschwunden, von Ratten und Insekten gefressen, doch um die linke Augenhöhle waren die Knochen verformt, und über die Wange zogen sich unzählige kleine Risse. Der Eiswind hatte dies verursacht, ohne Selik töten zu können. Und nun hatte der Rabe ihn getötet.
    Devun legte den Kopf sachte wieder auf den Boden, erhob sich und verließ rasch das Gebäude.
    Später saß er vor seinen Männern auf dem Pferd und sah zu, wie die Flammen die Garnison von Understone verzehrten und all jenen, die dort gefallen waren, verspätet die letzte Ehre erwiesen.
    »Was sollen wir nun tun?«, fragte sein soeben ernannter Leutnant. »Ohne Selik wird die Armee im Handumdrehen auseinanderfallen.«
    »Wir müssen frische Kräfte und neuen Schwung in die Schlacht bringen«, erklärte Devun. »Hauptmann Selik hatte noch eine Idee in der Hinterhand. Etwas, das wir in einer verzweifelten Lage tun könnten. Ich glaube, jetzt ist dieser
Augenblick gekommen. Es ist gefährlich, aber wenn wir am Ende die Kollegien besiegen, dann lohnt es sich, die Gefahr in Kauf zu nehmen. Folgt mir.«
    »Wohin reiten wir?«
    »Wir müssen mit den Wesmen reden.«
    Devun zog sein Pferd herum und trabte zum Understone-Pass.

Viertes Kapitel
    Dystran saß an Ranyls Bett, wo er jede freie Minute verbracht hatte, seit die Krebserkrankung den Meistermagier aus dem Kreis der Sieben und seinen engen Freund mit ihren tödlichen Krallen gepackt hatte. Neben dem Kopf des alten Mannes lag eine schwarze Katze, deren Gesicht eine fast menschliche Verzweiflung zeigte. Dystran war nicht überrascht. Wenn Ranyl starb, musste sein Hausgeist mit ihm sterben. Die beiden hatten sich schon vor vielen Jahren zusammengetan  – lange bevor er selbst die Position des Herrn vom Berge in Xetesk übernommen hatte. Dystran seufzte. Er hatte in der letzten Zeit viel zu seufzen gehabt. Irgendwie hatte er nicht glauben können, dass Ranyl tatsächlich sterben musste. Jetzt aber musste er sich mit dem Gedanken anfreunden, in Zukunft ohne die Hilfe des Mannes zu herrschen, der ihn auf seinen Posten gehievt hatte. Das würde sich anfühlen, als hätte er einen Arm oder ein Bein

Weitere Kostenlose Bücher