Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
hole dir aus der Küche etwas zu essen, und dann kehrst du auf deinen Posten zurück. Gut gemacht.«
Der Bote verneigte sich und rannte auf dem Weg zurück, auf dem er gekommen war. Dystran gab Chandyr die Hand.
»Haltet mich auf dem Laufenden. Unterrichtet mich sofort, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht. Unsere Zeit wird bald kommen, seid bereit.«
»Jederzeit, Mylord.«
Nach einem raschen Galopp zurück zum Kolleg wurde Dystran schon am Tor von Hauptmann Suarav abgefangen, einem vernarbten und zynischen Offizier, der über vierzig Jahre alt, pflichtbewusst und seinem Vorgesetzten treu ergeben war. Ein Mann, dem Dystran instinktiv blind vertraute. Er lächelte in sich hinein. Ranyl hätte ihn vermutlich daran erinnert, dass er auch Yron vertraut hatte, dem Helden, der zum Verräter geworden war. Er fragte sich, was aus Yron geworden war. Tot, nahm er an, und wahrscheinlich gestorben durch die Hände eines Elfenkriegers; also ein durchaus angemessenes Ende.
»Mylord, normalerweise würde ich Euch damit nicht behelligen, aber ich dachte, Ihr solltet es selbst sehen, bevor aufgeräumt wird.«
Dystran sprang vom Pferd und gab einem wartenden Stallburschen die Zügel.
»Was denn?«
»Hier entlang, Mylord.«
Suarav deutete zur Mauer des Kollegs und übernahm die Führung. Rasch liefen sie über die freie Fläche zwischen den Häusern der Stadt und dem Kolleg und näherten sich einer Ansammlung von schmucklosen Wohn- und Lagerhäusern mit kahlen Mauern. Der Hauptmann der Wache ging eine stinkende, schmale Gasse hinunter, bis er im Dämmerlicht stand, das dem strahlenden Morgen trotzte. Ein Summen, das sie vor sich hörten, entpuppte sich als
Fliegenschwarm, der um drei hilflos mit den Händen wedelnde Wächter kreiste.
»Dies ist nicht der richtige Augenblick für eine Führung durch die Elendsviertel von Xetesk«, sagte Dystran, der sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum er hierher geführt wurde.
»Ich kann Euch versichern, dass mir nichts ferner liegt«, erwiderte Suarav. Sein Tonfall klang nicht eben fröhlich.
Schweigend gingen sie weiter durch die Gasse. Nach etwa dreißig Schritten stand Dystran vor fünf Toten. Die Ratten hatten die Leichen bereits angefressen. Zwei von ihnen trugen einfache Kleidung, und sie waren Dystran herzlich gleichgültig. Die anderen drei aber gehörten zur Stadtwache.
»Wie lange sind sie schon tot?«, fragte er.
»Einen Tag, vielleicht etwas länger«, erklärte Suarav. »Sie wurden vermisst, aber mit so etwas haben wir nicht gerechnet. Wie Ihr wisst, gab es auch einige Fälle von Fahnenflucht.«
Ohne auf den Leichengestank und die Fliegenschwärme über den Toten zu achten, knieten Dystran und Suarav nieder, um sich einen genaueren Eindruck zu verschaffen.
»Zuerst dachten wir, es habe eine Auseinandersetzung zwischen Dieben uns unseren Männern gegeben, aber diese Möglichkeit müssen wir ausschließen.«
»Warum?«, fragte Dystran, der genau dies bereits vermutet hatte. Er drehte den Kopf zur Seite, um etwas frische Luft zu schnappen.
»Seht Euch nur die Wunden an«, sagte Suarav. »Diese armen Kerle hier haben keine sichtbaren Verletzungen, aber ihre Hälse sind gebrochen. Ich fürchte, alle wurden von denselben Feinden getötet. Wir haben so etwas schon einmal in diesen Gassen gesehen.«
»Elfen«, knirschte Dystran. »In meiner Stadt. Schon wieder. «
Die Elfen hatten mit Yrons Hilfe das alte Bruchstück des Daumens direkt unter der Nase der Xeteskianer zurückgeholt. Damit hatte die Elfenseuche schlagartig aufgehört, und Xetesk war ins Hintertreffen geraten. So etwas durfte keinesfalls noch einmal geschehen. Dystran richtete sich rasch auf und verließ die Gasse, Suarav folgte ihm auf dem Fuß.
»Verdoppelt die Streifen, verdreifacht die Wachen vor den Archiven und setzt alle verfügbaren Männer ein, um die Zugänge zu den Katakomben zu überwachen. Heute Nacht wird in diesem Kolleg niemand schlafen, der ein Schwert führen oder einen Spruch wirken kann. Habt Ihr verstanden?«
»Mylord?«
»Heute haben nicht viele Elfen an der Schlacht teilgenommen. Chandyr ist der Ansicht, sie bereiten sich auf einen Ausbruch von uns vor, aber das trifft nicht zu, nicht wahr?« Dystran schüttelte den Kopf. »Einige dieser Bastarde wollen heute Nacht hier eindringen. Vielleicht sogar alle.«
Das Problem war nur, überlegte er auf dem Rückweg zum Turm, dass praktisch alle verbliebenen Protektoren aus dem Kolleg verbannt worden waren, weil ihre
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