Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
man uns für das, was wir getan haben. Wie es scheint, haben die Elfen ein längeres und besseres Gedächtnis als die Balaianer.«
»Meinst du, ich sollte ständig dort leben?«
»Das wäre eine Idee. Sieh es mal so – unsere Zeit, die Zeit des Raben, ist vorbei. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir etwas klapprig werden und nicht mehr so schnell sind wie früher. Außerdem haben wir uns bei den Machthabern in Balaia unbeliebt gemacht. Aber wir haben nie einen Vertrag gebrochen, und wir wurden nie besiegt. Wir haben hier und auf Calaius gerettet, was wir retten konnten. Wir haben den Lauf der Dinge verändert. Das kann uns niemand mehr wegnehmen. Deshalb sage ich, geh und lebe woanders, wo du in Frieden leben kannst, aber deine Erinnerungen nicht verlierst. Die Elfen können dir das geben. Außerdem glaube ich, dass Herendeneth dich in Form halten würde. Dich und Darrick.«
Hirad lachte. »Ja, ich sehe uns schon gärtnern, bis wir sterben.«
»Ach, was. Du bist nicht für ein stilles Leben geschaffen. Irgendetwas wird dich finden, glaube mir.«
»Meinetwegen, solange es keine scharfe Klinge ist.«
Dystran hatte Kopfschmerzen vom Schlafmangel. Vom Schlafmangel und von den Erdhämmern, die auf vierzig Schritt vor dem Kolleg jedes Gebäude zerstört hatten. Seine
Hausgeister, diejenigen, die noch da waren, scheuchten die Wesmen, die keine Verteidigung gegen sie hatten. Doch es waren wenige, und sie konnten nicht mehr tun, als die Gegner reizen. Anscheinend waren sie auch nicht mehr fähig, die Gegner zu erschrecken, und Tessaya – er hatte den Lord der Wesmen in der Dämmerung durch die Schatten schleichen sehen – hatte sich offenbar überlegt, dass er sie wenigstens fangen und festsetzen konnte, wenn er sie schon nicht zu töten vermochte. Bei zwei Dämonen war es ihm bereits gelungen.
Am Vormittag stand Dystran auf der Mauer des Kollegs über dem Tor, nachdem er gerade wieder eine Kontrollrunde beendet hatte. Wesmen hatten das Kolleg umzingelt. Unglaublich. Die Sprüche und Pfeile hielten sie im Moment auf Distanz, und der Kobaltblitz hatte sie vorsichtig gemacht, doch Tessaya würde warten, bis er Xetesk für schwach genug hielt, um einen neuen Angriff zu wagen.
Als der Turm eingestürzt war und Löcher in die Mauern gerissen hatte, war die Verteidigung rasch zusammengebrochen, und der Schrecken hatte sich auf den Straßen ausgebreitet. Alle Soldaten und Magier waren zum Kolleg geflohen, die Wesmen hatten sie verfolgt. Das Südtor stand offen und wurde vom Feind kontrolliert. Auch die anderen Tore waren nun in den Händen der Wesmen, blieben jedoch geschlossen.
Die Bewohner der Stadt hatten keinen Fluchtweg mehr. Die Wesmen hatten sie von den Toren verscheucht, das Trommelfeuer der Sprüche hatte sie vom Kolleg ferngehalten, und so hockten sie in ihren Häusern und wussten nicht, ob sie leben oder sterben würden. Dystran kannte die Antwort. Die Taktik der Wesmen hatte sich verändert. Die einzigen Menschen, die Tessaya töten wollte, befanden sich im Kolleg.
Dystran wandte sich an den Wachhabenden, der neben ihm stand.
»Setzt Eure magischen Reserven klug ein. Ich will nicht feststellen müssen, dass alle meine Magier eine Pause brauchen, wenn er angreift.«
»Jawohl, Mylord.«
Der Herr vom Berge eilte die Treppe hinunter und lief über den Hof zum Turmkomplex. Die Helfer, denen er befohlen hatte, ihm einen aktuellen Lagebericht zu liefern, erwarteten ihn schon im großen Festsaal. Drei Männer, zwei davon sehr erschöpft und einer alt, hielten sich im kalten Raum bereit, bis er sich ihnen zu widmen gedachte. Sie saßen an einem Ende der erhöhten Haupttafel in der Nähe eines Kamins, der schon vor Stunden erloschen war.
Durch die dunklen Buntglasfenster fiel etwas Licht herein, das den Saal natürlich nicht erwärmen konnte. Dystrans Schritte hallten laut, als er sich ihnen näherte. Sie standen auf, sobald sie ihn sahen, doch er winkte ihnen ungeduldig, sich wieder zu setzen, und sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe des Podiums hinauf.
»Anscheinend muss ich in der letzten Zeit mit ermüdender Regelmäßigkeit solche Besprechungen abhalten.« Er setzte sich auf seinen Stuhl, legte die Hand auf die Armlehne des benachbarten Stuhls und knetete das Polster. Ohne Ranyl kam ihm der Raum vor wie eine finstere Höhle.
»Ich möchte allen Magiern mein Beileid für Ranyls Tod aussprechen. Er war ein großer Mann«, sagte Chandyr. Sein Kopf war verbunden, auf der linken
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