Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
in den Straßen kämpfen. Die Schwertkämpfer hatten nichts zu tun, und die Wesmen konnten sich draußen ungestört herumtreiben, hatte Chandyr gesagt. Dystran wollte jedoch, dass sie ausgeruht waren. Wenn dieser letzte Schachzug fehlschlug, dann brauchten sie jedes Schwert, um den Turmkomplex zu verteidigen. Sie konnten immer noch hoffen, den Sieg zu erringen, doch es kam darauf an, den richtigen Augenblick für die Anwendung des Spruchs zu finden. Dystran war der Ansicht, dass Chandyr viel zu emotional und ohne Logik handelte.
Er hatte mit Sharyr über die Risiken gesprochen und wusste, dass die Ausrichtung unvollkommen war. Die Wesmen mussten jedoch zurückgeworfen werden. Sie konnten nicht länger warten.
»Ich will stolz auf Euch sein«, sagte er zu der Gruppe, als Sharyr sie auf den Spruch vorbereitete.
»Entweder das, oder Ihr seid tot«, erwiderte Sharyr scharf.
Dystran achtete ihn für seine innere Kraft. Dieser Mann war ihm gar nicht so unähnlich. Vielleicht würde er ihn sogar in den Kreis der Sieben berufen, wo er ihn besser unter Kontrolle halten konnte.
»Fangt einfach an«, sagte Dystran. »Es wird schon gut gehen.«
Wieder hörte er das Donnern des Rammbocks am Tor,
und er spürte einen Ausbruch im Mana-Spektrum, der ihm verriet, wie sehr die schützenden Sprüche dort belastet waren. Rings um das Kolleg flogen magische Entladungen in dunkelblauen Bögen durch den frühmorgendlichen Himmel. Viele Häuser brannten, und überall, wo Dystran hinschaute, sah er Wesmen.
»Sharyr, dieser Spruch muss zumindest eines erreichen: Er soll die verdammten Gesänge unterbinden. Die sind ebenso nervtötend wie unharmonisch.«
Darüber hätte Sharyr fast gelächelt. Er wandte sich zu seinen fünfzehn Magiern um, die sich rings um den Turm verteilten, und der Spruch begann. Dystran sandte ein Stoßgebet an den Gott, der gerade zuhören mochte. Das Sturmfeuer war ein gefährlicher Spruch, noch nicht richtig entwickelt und noch nie im Ernstfall eingesetzt. Er war jedoch der einzige, der die Wesmen rechtzeitig aufhalten konnte. Er erforderte eine exakte Konstruktion, genaue Visualisierung und präzise Ausrichtung. Er nutzte die Energie des interdimensionalen Raumes als Brennstoff, und er verlangte eine gewaltige geistige Kraft, damit er nicht zusammenbrach, während sich der Sturm zusammenbraute. Nach der Freisetzung konnten sie nur noch stehen bleiben und zusehen, wie er in alle Himmelsrichtungen wütete.
Dystran lächelte. Es war eine ideale Situation, um den Spruch auszuprobieren. Er wirkte kreisförmig, und sie waren ringsum von Feinden umgeben. Das Sturmfeuer war für diese Lage wie geschaffen. Sein erfolgreicher Einsatz würde die Abfolge der interdimensionalen Sprüche vollenden und auf einen Schlag die Wesmen vernichten. Das wäre ein sehr befriedigender Ausgang.
Sharyr war ein starker Magier, da gab es keinen Zweifel. Er überwachte seine Gruppe genau. Dystran spürte den Sog des Mana und die ordnende Kraft des gebündelten
Spruchs. Beinahe wünschte er, er könnte sich ihnen anschließen. Beinahe.
Das erste Anzeichen des Spruchs war ein beeindruckender Riss am Himmel. Er hatte blaue Ränder und erschien direkt über seinem Kopf, dann wanderte er zum Rand des Kollegs, wo er sich stabilisierte. Zuerst erinnerte er an ein Stück Seide, zierlich und anmutig. Dann verhärtete er sich und nahm die endgültige Form des Spruchs an – ein dunkelblau schimmernder Bogen, der am höchsten Punkt etwas zerfasert wirkte. Abrupt und schneller, als das Auge folgen konnte, dehnte sich der Bogen nach links und rechts aus und passte sich den Umrissen des Kollegs an.
Der Kreis war vollendet. Im blauen Mana-Licht blitzte kurz etwas Weißes auf. Die Luft summte. Auf den Mauern richteten sich die Bogenschützen auf, und die Magier stellten das Feuer ein und ließen ihre Sprüche fallen. Die Wesmen zogen sich zurück. Dystran konnte sie gut verstehen.
Langsam öffnete sich der Spalt, und das Sturmfeuer braute sich zusammen. Links und rechts von Dystran hatten die Magier das Geländer des Balkons gepackt und hielten sich fest, während ihre Beine unter dem Ausbruch der Energie zitterten, die sie zunächst bändigen und dann in den Spruch einfließen lassen mussten. Sharyr schnaufte angestrengt.
»Durchhalten«, drängte er seine Gruppe. »Durchhalten. Ruhig durchatmen.«
In dem sich aufbauenden Unwetter zuckten hellblaue Blitze. In das Tosen des Sturms mischte sich dumpfer, grollender Donner. Am unteren Saum der
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