Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
einer drückenden, schwülen Hitze. Sha-Kaan ruhte in der Mitte seiner Kammer, Kopf und Hals lagen auf dem Boden, dahinter der riesige Rumpf. Sein Schwanz zuckte müßig hinter den Hinterbeinen.
Der kleine Jonas löste sich vom Unbekannten und rannte los. Ohne jede Angst watschelte er zu der Kreatur, die ihn im Ganzen hätte verschlingen können. Vor dem Maul des großen Drachen blieb er stehen und drehte sich halb zu seiner Mutter um.
»Kaan!«, sagte er.
»Ja, mein Lieber«, stimmte Diera zu. Sie trat neben ihn.
Der Rabe hielt sich etwas zurück und beobachtete das Wiedersehen aus respektvoller Distanz. Sha-Kaan hob ein wenig den Kopf und sprach leise und über den Kopf des Jungen hinweg.
»Hallo, kleiner Mann«, sagte er mit erstaunlich zarter Stimme für ein so gewaltiges Geschöpf. »Du bist groß geworden. Ich hätte nicht erwartet, dich einmal wiederzusehen, und ich bin traurig, dass es in diesem Moment geschehen muss.«
Jonas antwortete nicht, sondern langte nur hoch und rieb die verhornten Schuppen über Sha-Kaans Maul. Dann wandte sich der Drache an Diera.
»Dein Sohn ist wundervoll«, sagte er mit einem tiefen Grollen, und seine Augen strahlten blau und glänzten warm.
»Danke«, sagte sie. »Es ist schön, dich zu sehen.«
»Doch der Grund, aus dem es geschieht, bricht dir das Herz.«
Sie nickte und ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich verstehe nicht, warum irgendetwas, das in Balaia passiert ist, mit meinem Mann zu tun haben muss. Er hat doch seinen Frieden verdient.«
Sha-Kaan seufzte. »Ich kann dir nicht widersprechen. Du hast einen außergewöhnlichen Mann geheiratet, der zu einer außergewöhnlichen Gruppe gehört. Wenn die Welt in Schwierigkeiten steckt, dann ruft sie nach solchen Menschen und erwartet, dass sie dem Ruf folgen. Es ist das Kennzeichen ihrer Größe, dass sie beschließen, sich ins Unvermeidliche zu fügen, aber es ist zugleich dein Unglück.«
»Es sollte doch endlich einmal jemand anders geben.«
»Höre dir an, was ich zu sagen habe. Ich glaube, du wirst dann zustimmen, dass dem nicht so ist.«
Sie ließ die Schultern hängen, nickte ergeben und zog Jonas an sich. Sha-Kaan hob den Kopf ein wenig höher.
»Kommt doch alle näher«, sagte er. »Ich habe nicht den Wunsch zu schreien.«
Kichernd führte Hirad sie hinüber. »Dein Flüstern allein würde uns schon übers ganze Südmeer wehen, Großer Kaan.«
»Es erfreut mein Herz, dich zu sehen, Hirad Coldheart.«
»Und ich freue mich auch, Sha. Du siehst gut aus.«
»Die Luft von Beshara und die Strömungen des interdimensionalen Raumes tun mir gut.« Sha-Kaan regte sich. »Wie gefällt dir mein Klene?«
Anerkennend betrachtete Hirad die Kammer, in der die Drachen ruhen und im interdimensionalen Raum Heilung finden konnten.
»Ein wenig schlichter als dein altes. Bist du mit dem Ausschmücken noch nicht fertig, oder bleibt es so?«
Darrick musste lächeln. Er hätte sich nicht einmal in seinen wildesten Träumen vorstellen können, jemals Zeuge zu werden, wie ein Mann mit einem vierzig Schritt langen Drachen über Wandschmuck debattierte. Auch der Unbekannte, der neben ihm stand, erfasste die Komik der Situation.
»Wirksamkeit geht vor Ästhetik. Die Gestalt der Kammer und die Fugen in den Wänden sind ausgezeichnete Kanäle für die heilenden Ströme.«
»Oh, richtig.«
Sha-Kaan räusperte sich. Der Laut donnerte durch den Raum und erschreckte Jonas, der sich an seine Mutter klammerte.
»Aber wenn die richtige Zeit gekommen ist, werden wir Wandteppiche aufhängen, falls es dir so wichtig ist.«
»Mir ist das ja eigentlich egal, Sha-Kaan«, sagte Hirad. »Ich muss nur am einen Ende sein, damit du dieses Ding hier benutzen kannst. Ich muss es mir ja nicht unbedingt ansehen.«
»Ich fürchte, wir kommen vom Wesentlichen ab.« Sha-Kaans Antwort klang ein wenig gereizt. Er blickte an Hirad vorbei zu den anderen, die sich vor ihm aufgebaut hatten. »Ich erinnere mich noch an die Zeiten, da ich alle Menschen außer den Drachenmagiern für unwürdig hielt, von den Drachen überhaupt beachtet zu werden. Hirad Coldheart hat mich eines Besseren belehrt, und ihr, die ihr hier vor mir steht, seid Beispiele dafür, wie dumm ich war.
Nun fällt es mir umso schwerer, euch zu bitten, noch eine Aufgabe zu erfüllen. Es überrascht mich nicht, dass auch die Elfen ihre Besten geschickt haben. Ihr versteht, wie Menschen es nicht vermögen, die Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten. Cleress, deine Gegenwart ehrt
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