Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
schwieg ebenso wie alle Anwesenden im großen Saal. Arabelle dachte über Herysts Strategie nach. Kurz bevor sie aufgebrochen war, um den Dämon zu fangen, hatte er eine Botschaft aus Xetesk empfangen. Seine in verschiedene Richtungen zielenden Fragen hatten den Dämon offenbar überrumpelt.
»Antworte mir. Ihr müsst die Herzen aufzehren, habt aber nicht genug Kraft dazu?«
»Keine Fragen mehr«, spuckte der Dämon.
»Kayvel, erklärt bitte unserem Gefangenen, dass er keinen Spielraum für solche Entscheidungen hat.«
Kayvels Spruch war schnell vorbereitet und gut ausgewählt. Flammenhand. Der nicht mehr ganz junge Magier atmete tief durch, legte die Stirn in Falten und hielt eine Hand über den Bauch des Dämons. Das Wesen versuchte, sich loszureißen, konnte aber nichts ausrichten. Kayvels Handfläche entsprang eine grüne Flamme, eng begrenzt und heiß. Er ließ sie über die hellblaue Haut wandern. Sofort wallte Rauch empor, die Haut verkohlte, und ein stechender Geruch breitete sich aus. Der Dämon schrie auf. Heryst hob eine Hand, und Kayvel zog sich zurück.
»Wenn du schweigst, werden wir das wiederholen«, versprach Heryst ihm. »Beantworte meine Fragen.«
»Wir werden dich erwischen, Magier«, knurrte der Dämon. »Nichts kann das verhindern.«
»Dann sagst du mir, warum ihr wartet? Ich will den wahren Grund hören.«
»Ich habe ihn dir genannt.«
»Könnt ihr den Manastrom aufhalten?«
Schweigen. »Kayvel, noch einmal, bitte.«
Wieder stieg Rauch auf, wieder stank es, und ein Murmeln erhob sich in der Halle. Weitere Schreie.
»Antworte mir.«
»Nein.«
»Nein, du willst nicht, oder nein, ihr könnt ihn nicht aufhalten?«
»Bitte.« An den Rändern war die Wunde des Dämons bereits verschorft, aber sie war tief, und das Blut strömte über seinen Bauch.
Wieder zog Kayvel sich zurück.
»Nun?«, fragte Heryst.
»Er kann nicht aufgehalten werden. Warum auch? Wir sind hier und werden euch nehmen, wie es uns gefällt.«
»So einfach geht das, ja?«, sagte Heryst. »Wann werdet ihr stark genug sein, um uns anzugreifen? Wann werden eure Herren euch den Angriffsbefehl geben?«
»Wir haben keine Befehle.«
»Lügner.«
Der Dämon riss die Augen auf. Kayvel kam näher.
»Wir greifen an, wenn sie es uns sagen. Keine Vorwarnung, wir gehorchen. Bitte.«
»Lügner«, wiederholte Heryst. Er nickte.
Dieses Mal ließ Kayvel die Hand über Brust und Hals des Dämons wandern. Langsam und präzise. Die Haut knisterte, das Fleisch kochte. Das Wesen wimmerte und bewegte sich kaum noch. Es hatte die Augen auf Heryst gerichtet, sein Hass war fast körperlich spürbar. Der Lordälteste Magier zuckte mit keiner Wimper.
»Sprich. Mein Kollege kann das länger tun, als du es aushalten kannst.«
Arabelle stieg der beißende Gestank des brennenden Dämonenfleischs in die Nase. Sie beobachtete die Folterung und empfand kein Mitgefühl für den Dämon. Überhaupt nichts.
»Es ist die Wahrheit! Bitte!«
»Werdet ihr die Herzen zerstören, wenn ihr sie in Besitz nehmt?«
»Nein!« Der Dämon schauderte. »Zu wertvoll, eine zu starke Quelle.«
Heryst schnippte mit den Fingern. Kayvel zog seine Hand zurück.
»Nun ja, nun ja«, sagte Kayvel und fing Herysts Blick ein.
»Ja«, stimmte Heryst zu. »Und wahrscheinlich wollt ihr auch alle Magier am Leben lassen.«
Ein gequältes Kichern. »Eure Seelen sind die kostbarsten. Wir werden euch genießen.«
»Eine Schande, dass deine Herren die Wahrheit nicht sehen.«
Auf der Haut des Dämons hatte sich ein fettiger Schweißfilm gebildet. Seine Kräfte schwanden rasch. Immer noch blubberten und bluteten die Verbrennungen auf seinem Oberkörper. Wieder sah er Heryst an und runzelte die Stirn, ein fast menschlicher Ausdruck.
»Die Magier sorgen dafür, dass das Herz weiterschlägt«, sagte Heryst. »Keine Magier, kein Herz.«
»Lügner.«
Arabelle war nicht sicher, aber sie glaubte, ein schwaches Lächeln über das Gesicht des Wesens huschen zu sehen.
»Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber bisher habe ich dir stets die Wahrheit gesagt. Vielleicht hättet ihr euch Julatsas Problem etwas näher ansehen sollen.«
»Deine Lügen werden dein Leben nicht verlängern.«
»Und deine Lügen werden das deine nicht retten. Also,
zum letzten Mal: Wie lange noch, bis ihr die Kollegien angreift?«
»Das weiß ich nicht.«
Heryst richtete sich auf. »Eine Schande.« Er nickte Kayvel zu. »Dieses Mal hört Ihr erst auf, wenn er nicht mehr atmet.«
»Nein, nein!«
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