Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
Während Sounis einen Anblick geboten hatte, als sei es goldbraun gebacken, bestand dieses Land aus Abstufungen von Grün. Sogar die Pflanzungen von Olivenbäumen hatten dort unten eine sattere Farbe als die silbergrauen Bäume jenseits der Bergkette.
»Hier macht sich der Einfluss der Ostwinde bemerkbar, die die Wolken abregnen lassen, wenn sie auf die Berge treffen«, erklärte der Magus. »Attolia bekommt im Jahr beinahe doppelt so viel Regen wie wir.«
»Attolia exportiert Wein, Feigen, Oliven, Weintrauben und auch Getreide, hat genug Weideflächen, um Rinder zu halten, und importiert keine Schafe aus Eddis«, sagte Ambiades wohlunterrichtet, und der Magus lachte.
»Bei den Göttern, du hast ja doch aufgepasst!«
Ich dachte erst, dass Ambiades lächeln würde, aber stattdessen blickte er finster drein und sprach nicht mehr, bis wir zur Nacht Halt machten, und auch dann nur, um mit Sophos zu schimpfen. Für jemanden, der gestern Abend noch so zufrieden am Feuer gesessen hatte, war das ein seltsames Verhalten. Ich verstand nicht, warum Sophos ihn mochte, aber er tat es offensichtlich – besser gesagt, er betete ihn an. Es fehlte nur noch, dass er einen Miniaturtempel baute und Ambiades bat, sich auf den Altar zu stellen.
Ich vermutete, dass Ambiades gewöhnlich umgänglicher war. Der Magus wirkte nicht wie jemand, der langes Murren von einem Lehrling duldete, und ich hatte den Eindruck, dass er viel von Ambiades hielt, obwohl er ihn von Zeit zu Zeit einen Narren schalt.
Nach dem Essen fragte Sophos, ob es weitere Geschichten über die Götter gäbe, und der Magus begann mit der Geschichte von Eugenides und den Donnerkeilen des Himmelsgottes, hielt aber fast sofort wieder inne.
»Er ist dein Schutzgott«, sagte er zu mir. »Warum erzählst du Sophos nicht, wer er ist?«
Ich weiß nicht, mit welcher Antwort er rechnete, aber ich erzählte die ganze Geschichte so, wie ich sie von meiner Mutter gelernt hatte, und er unterbrach mich nicht.
Wie Eugenides, der Gott der Diebe, geboren wurde
Die Erschaffung der Menschen lag viele Jahre zurück, und sie hatten sich vermehrt und auf der Welt ausgebreitet. Eines Tages, als die Erde durch ihre Wälder wandelte, traf sie einen Holzfäller. Seine Axt lag neben ihm auf dem Boden, und er weinte.
»Warum weinst du, Holzfäller?«, fragte ihn die Erde. »Ich sehe kein Leid.«
»Oh, Herrin«, sagte der Holzfäller, »ich leide über alle Maßen, weil mich der Schmerz einer anderen zum Weinen bringt.«
»Was für ein Schmerz?«, fragte die Erde, und der Holzfäller erkl ärte, dass er und seine Frau gern Kinder gehabt hätten, aber keine hatten, und seine Frau deshalb so traurig war, dass sie in ihrem Haus saß und weinte. Und wenn der Holzfäller an die Tränen seiner Frau dachte, weinte auch er.
Die Erde wischte ihm die Tränen von den Wangen und wies ihn an, sie in neun Tagen wieder im Wald zu treffen; nach Ablauf dieser Zeitspanne würde sie ihm einen Sohn bringen.
Der Holzfäller ging nach Hause und erzählte seiner Frau, was geschehen war; nach neun Tagen ging er wieder in den Wald, um die Göttin dort zu treffen. Sie fragte: »Wo ist deine Frau?«
Der Holzfäller erklärte, dass sie nicht mitgekommen wäre. Es ist eines, die Göttin im Wald zu treffen, aber etwas anderes, seine Ehefrau zu überzeugen, dass einem so etwas widerfahren ist. Die Frau des Holzfällers glaubte, dass ihr Mann den Verstand verloren hätte, und weinte nur noch mehr.
»Geh«, sagte die Erde, »und sag deiner Frau, dass sie morgen kommen soll, sonst wird sie kein Kind bekommen – und am Ende auch keinen Mann und kein Zuhause mehr haben.«
So ging der Holzfäller nach Hause zu seiner Frau und flehte sie an, mit in den Wald zu kommen. Um ihm einen Gefallen zu tun, stimmte sie zu. So war sie am nächsten Tag bei ihrem Mann, und die Erde fragte sie: »Hast du eine Wiege?«
Und die Frau sagte nein. Es ist eines, seinem Mann, der plötzlich wahnsinnig geworden ist, einen Gefallen zu tun, aber etwas ganz anderes, alle Nachbarn wissen zu lassen, dass er verrückt geworden ist, indem man sich eine Wiege für ein Kind leiht, das man seinen Worten nach von einer Göttin bekommen wird.
»Geh«, sagte die Erde, »und hol eine Wiege und kleine Kleider und Decken, oder du wirst um diese Zeit morgen kein Kind, keinen Mann und kein Zuhause haben.«
Also gingen der Holzfäller und seine Frau zu ihren Nachbarn, und die Nachbarn waren gute Menschen. Sie gaben dem Holzfäller und seiner
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