Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
berührte mich leicht am Ellbogen. »Steh auf«, sagte er sehr leise. Er bot mir nicht an, mir zu helfen, und als ich tatsächlich aufstand, bemerkte ich, dass er außer Reichweite blieb und mich, das Gewicht auf die Zehen verlagert, genau beobachtete.
Sophos hielt mein Pferd bereit. Er führte es neben einen Baumstumpf, damit ich ihn als Trittstein nutzen konnte, aber ich ignorierte den Baumstumpf und drängte das Pferd davon weg. Sophos kam um den Kopf des Pferdes herum, um mir den Steigbügel zu halten, aber ich ignorierte auch ihn, setzte einen Fuß in den Steigbügel und sprang auf den Rücken des Pferdes. Ich riss ruckartig an den Zügeln, um es davon abzuhalten, zur Seite auszubrechen, und das Pferd warf verblüfft den Kopf hoch.
Ich hielt inne, um tief ein- und dann wieder auszuatmen. Ich spürte, wie meine Augenbrauen sich zusammenzogen, und biss die Zähne so fest aufeinander, dass meine Kiefermuskeln zuckten. Ich holte noch einmal Atem und rief mir ins Gedächtnis, dass mein Zorn nicht dem Pferd galt. Nichts bis auf meinen eigenen Ehrgeiz hielt mich in der Nähe des Magus. Ich könnte diese Gesellschaft stubengelehrter Abenteurer einfach stehen lassen, wenn es mir so gefiel. Weder die Belohnung des Königs noch Pol hätten mich aufhalten können, aber ich wollte selbst zum Königsmacher werden. Ich wollte der Erste in Jahrhunderten und Aberjahrhunderten sein, der Hamiathes’ Gabe stahl. Ich wollte berühmt werden. Nur, dass ich das verdammte Ding nicht stehlen konnte, wenn ich nicht wusste, wo es sich befand; allein der Magus konnte es für mich finden. Ich würde bei ihm bleiben, bis er mich zu dem Stein geführt hatte, aber ich nahm mir vor, irgendwann ein scharfes Messer in seine Arroganz zu rammen und schön herumzudrehen.
Der Magus und Pol waren auf ihre eigenen Pferde gestiegen.
»Sollen wir nach Westen zum Bach schwenken und hoffen, dass wir an seinem Ufer irgendein Dorf finden? Meinst du, dass darin unsere größte Chance besteht?«, fragte der Magus Pol.
Pol nickte. Der Magus stopfte die Landkarte, die er in der Hand hielt, in die Tasche hinter seinem Sattel. »Also hier entlang«, sagte er und führte uns zwischen den Bäumen hindurch. Mein Pferd folgte gleich hinter seinem, wie immer.
Im Reiten dachte ich mit etwas Abstand noch einmal über meinen Zorn nach. Ich war so wütend gewesen, dass ich den Magus in Angst und Schrecken versetzt hatte, obwohl Pol zwischen uns gestanden hatte. Das war etwas ganz Neues in meinem Leben, und ich sonnte mich im Laufe des Vormittags ein wenig darin. Es freute mich auch, dass ich den Mund gehalten hatte. Dass ich gesagt hatte, was ich nicht hätte sagen sollen, war der Ausgangspunkt der meisten schmerzlichen Episoden in meiner Vergangenheit gewesen, und es würde meinem Charakter sicher zugutekommen, wenn ich meine Zunge ein wenig zu zügeln vermochte.
»Geht es dir gut?«, flüsterte Sophos mir von der Seite zu.
Ich sah ihn unter meinen immer noch herabgezogenen Augenbrauen hervor an. »Oh, sicher«, sagte ich.
Es ging mir tatsächlich gut. Die Reitpeitsche war nicht schwer genug gewesen, um ernsthaften Schaden anzurichten. Die Kleider, mit denen der Magus mich ausgestattet hatte, waren so dick, dass sie ein Aufplatzen der Haut verhindert hatten. Ich war nicht außer Gefecht gesetzt. Der Rücken tat mir weh, aber das Brennen würde bis zum Anbruch der Nacht nachgelassen haben, und ganz gleich, wann wir ankamen, wo wir hinwollten, ich würde in der Lage sein, meine Aufgabe zu erfüllen. Der Magus hätte nie etwas getan, was meine Nützlichkeit hätte beeinträchtigen können.
Wir gelangten an einen flachen Fluss, dessen Ufer mit Gebüsch bewachsen waren, und folgten ihm stromaufwärts, bis wir zu einer Lücke in den Olivenhainen kamen, in der Feldfrüchte angebaut wurden. Der Magus wendete sein Pferd und führte uns zurück zwischen die Bäume.
»Irgendwo in der Nähe muss es eine Ortschaft geben. Pol und ich werden hingehen, um weiteren Proviant zu besorgen. Ambiades, ich übertrage dir die Verantwortung. Lass um der Götter willen den Dieb nicht aus den Augen.« Er sah mich nicht an, als er sprach, aber Ambiades warf einen verächtlichen Blick in meine Richtung.
Mir fiel auf, dass ich nun nicht mehr »Gen« war, sondern wieder ein unzuverlässiges Tier, wie eine Kuh, die zum Weglaufen neigt. Der Magus und Pol ließen ihre Pferde und ihr Gepäck bei uns zurück und brachen einen Pfad entlang auf, der dem Fluss in den nächsten Ort folgte. Den
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