Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
von hinten erstechen können. Ob er eine Frau und zwei Kinder gehabt hatte? Wer würde ihnen mitteilen, dass er tot war? Der Schmerz in meiner Brust breitete sich aus, bis sogar meine Finger an den Stellen wehtaten, an denen ihre Knöchel den rauen Boden berührten.
Nach langer Zeit flüsterte Sophos: »Gen? Bist du noch wach?«
»Ja.«
»Der Magus hat gesagt, dass die Blutung gestillt ist und du wahrscheinlich wieder gesund wirst. Solange du kein Fieber bekommst.«
»Das ist gut zu wissen.« Dann konnten sie mich ja köpfen.
Die Sonne ging unter, als die Wachen den Magus zurückbrachten. Das letzte Licht fiel direkt durch das kleine Fenster und beleuchtete die gegenüberliegende Wand der Zelle. Die Wand bestand aus dem gleichen gelben Kalkstein wie das Megaron des Königs jenseits der eddisischen Berge. Ich hatte den Nachmittag über gedöst. Irgendjemand hatte etwas zu essen gebracht; ich hatte Sophos gesagt, dass er alles haben könnte.
»Gen, wie fühlst du dich?«, fragte der Magus.
»Oh, gut«, sagte ich. Mein Brustkorb war mit kochendem Zement gefüllt, und mir war überall zugleich heiß und kalt, aber das machte mir wirklich nichts aus. Mir machte so gut wie nichts etwas aus, also nehme ich an, dass ich mich wirklich gut fühlte.
Der Magus legte mir die Hand an die Stirn und blickte besorgt drein. »Hast du heute irgendetwas gegessen?«
Ich verdrehte die Augen.
»Ja«, stimmte er zu, »das war eine dumme Frage. Hast du etwas zu essen bekommen, Sophos?«
Sophos nickte.
»Hast du mir etwas übrig gelassen?«
»Nein, tut mir leid.« Sophos sah schuldbewusst drein.
»Schon gut«, log der Magus. »Ich habe oben etwas gegessen, als ich mit dem Hauptmann der Garde der Königin gesprochen habe. Offenbar ist Ihre Majestät auf dem Weg hierher, um sich unsere Geschichte selbst anzuhören.«
Er ließ sich auf dem Steinboden nieder und lehnte sich unmittelbar außerhalb meines Gesichtsfelds an die Wand.
»Wir befinden uns in einer etwas schwierigen Lage«, sagte er, und ich verdrehte noch einmal die Augen. »Leider war Ambiades unser einziges zuverlässiges Mittel, die Attolier zu überzeugen, dass Hamiathes’ Gabe tatsächlich verloren gegangen ist. Du weißt, was mit Ambiades geschehen ist?«
»Sophos hat es mir erzählt.« Es war unbequem, ein Gespräch mit jemandem zu führen, der sich seitlich von meinem Kopf befand, aber mich umzudrehen, um den Magus anzusehen, war die Mühe nicht wert.
»Das Geld seines Vaters muss zur Neige gegangen sein, und er hat beschlossen, lieber ein reicher Verräter als ein verarmter Lehrling zu sein. Attolia bezahlte ihn, und er sorgte dafür, dass jemand uns folgte, seit wir die Königsstadt in Sounis verlassen hatten. Wenn wir zu schnell vorankamen, sorgte Ambiades für eine Verzögerung.« Wir dachten beide an den Proviant, der aus den Satteltaschen genommen worden war.
»Ich schulde dir viele Entschuldigungen«, räumte der Magus ein.
»Sie sind alle angenommen«, sagte ich. Es spielte keine Rolle mehr.
»Die Königin hat wahrscheinlich gehofft, uns andere in aller Stille zu töten und Ambiades als einzigen Überlebenden zurückzuschicken. Sie wird nicht erfreut darüber sein, einen so wertvollen Spion verloren zu haben, und da Ambiades tot ist, gibt es leider keine Möglichkeit, sie zu überzeugen, dass Hamiathes’ Gabe in einen Bach gefallen ist.«
Kurz trat Schweigen ein, in dem jeder von uns über die Möglichkeiten der Attolier nachsann, uns zuverlässige Informationen abzupressen.
Der Magus wechselte das Thema, und ich wandte den Kopf, um ihn anzusehen, als er sagte: »Attolias Soldaten waren beim Tempel in der Dystopie.« Er nickte. Ich weiß nicht, ob er damit bekräftigen wollte, dass er eben die Wahrheit gesagt hatte, oder ob es ihn freute, mir endlich ein Lebenszeichen entlockt zu haben. »Der Tempel war vollkommen zerstört. Der Aracthus war durchs Dach gebrochen und hatte die meisten Wände fortgespült. Es waren noch Spuren eines Bauwerks von Menschenhand vorhanden, aber das war alles.«
»Wann?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber wohl nur ein oder zwei Tage, nachdem wir von dort aufgebrochen waren.«
Ich erinnerte mich, wie nah das Wasser des Aracthus geklungen hatte, als es über das Dach der Halle der Götter geströmt war. Ich stellte mir vor, wie es sich in den Raum hinab und in das Labyrinth darunter ergoss und die Türen und Wände einriss. Ich dachte an die Götter in ihren schönen Gewändern und Hephestia auf ihrem Thron. Fort.
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