Die Legenden von Attolia 4: Die Verschwörer (German Edition)
Vergebung.
Sounis setzte sich hin und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er legte sich den Arm über die Stirn und blaffte: »Oh, natürlich vergebe ich ihm. Was für eine Wahl habe ich schon?« Seine eigenen Worte schienen ihn stutzig zu machen, und nachdem er einen Moment lang nachgedacht hatte, seufzte er schwer. »Ich werde ihm vergeben«, sagte er ruhiger, »weil ich ihn habe schreien hören, als jemand ein Schwert aus ihm herausgezogen hat, das genauso gut mich hätte aufspießen können. Und weil ich trotz allem, was dagegen spricht, zu wissen glaube, dass er, auch wenn er Attolis ist, zugleich mein Freund Gen ist. Aber er hätte mir von Anfang an vertrauen können, statt sich wie ein Dummkopf aufzuführen und mich wie einen zu behandeln.«
»Das ist unbestritten«, sagte Eddis und ließ einen Teil ihrer eigenen Verärgerung über den König von Attolia durchklingen.
»Ich bin kein Narr«, sagte Sounis.
»Nein.«
»Ich kann keinen Krieg gegen Attolia gewinnen und gleichzeitig einen Aufstand niederschlagen.«
»Ich wüsste nicht wie.«
»Sounis kann sich nicht Attolia ergeben, aber ich glaube, ich kann mich Eugenides als König von Attolia ergeben und doch weiter Sounis sein und mein Land behalten. Wir können uns gegen eine weit größere Gefahr verbünden.«
»Ja.«
»Ich habe es eigentlich nicht nötig, dass du mir das sagst.«
Eddis unterdrückte ihr Lächeln und schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sounis lächelte ebenfalls, doch es war ein trauriges Lächeln. Er stand auf. »Ich nehme an, ich sollte das dem Magus erzählen.«
Eddis erhob sich ebenfalls. Als er auf dem Weg zur Tür an ihr vorbeikam, legte sie eine Hand auf seinen Ärmel und hielt ihn auf.
»Inwiefern weniger?«, fragte sie ihn, wieder ernst.
Für Sounis war das offensichtlich: »Sklave auf Hanaktos’ Feldern – und auch jetzt nichts viel Besseres. Ich bin ein König ohne Land. Würdest du das haben wollen?«
Eddis schien darüber nachzudenken. »Ja.«
Bedauern und Freude hielten sich die Waage, als Sounis widerstrebend sagte: »Ich bin mir nicht sicher, ob das klug ist. Ich würde meine eigenen Gefühle hinterfragen müssen, weil ich nicht glaube, dass ich dich so unbändig liebe, dass ich dich in solch eine ungünstige Verbindung hineinziehen würde.«
»Es wäre vielleicht besser gewesen«, räumte Eddis trocken ein, »wenn du die Ketten der Knechtschaft nur aus Liebe zu mir abgeworfen hättest. Es wäre gewiss schmeichelhafter gewesen.« Sie stand nahe bei ihm, blickte in sein Gesicht und musterte es genau. »Ich bin jedoch willens einzugestehen, dass wir echte Menschen sind, keine Figuren in einem Schauspiel. Wir müssen nicht alle gleich mit Tintenfässern werfen. Wenn wir uns miteinander wohlfühlen, genügt das dann nicht?«
»Wenn ich nicht nur dem Namen nach König wäre, wäre das alles, was ich mir je erträumt hätte«, sagte Sounis, und nun war es Eddis, die errötete.
»Also möchtest du warten, bis du als Sounis bestätigt bist?«
»Falls …«
»Wenn«, sagte Eddis fest.
»Ja«, sagte Sounis. »Dann.«
Kapitel 14
Als Eddis ging, schwemmte sie in ihrem Kielwasser einen Großteil der Menschenmenge mit, die sich im Vorzimmer drängte, wie Sounis sah, als er die Tür öffnete. Die Leute strömten aus dem Zimmer wie eine Flutwelle und ließen nur zwei attolische Gardisten und den Magus zurück, der allein dastand und sich des leeren Raums so wenig bewusst war, wie er den vollen wahrgenommen hatte.
Er sah alt aus, wie Sounis auffiel, und es kam ihm wie eine Schande vor, dass ein solcher Mann keinen besseren König haben sollte, dem er dienen konnte. »Es tut mir leid«, sagte Sounis. »Ihr habt versucht, mich zu warnen, dass er nun König von Attolia ist, und ich hätte auf Euch hören sollen.«
Zu seinem Erstaunen trat der Magus vor und fiel auf die Knie.
»Nicht«, sagte Sounis, aber der Magus ergriff beide Hände des Königs und küsste sie, bevor er sie sich an die Augen führte. Verlegen zog Sounis den Magus auf die Beine, doch der Magus ließ sich nicht erschüttern. Er lächelte im Aufstehen, sah Sounis ins Gesicht und sagte schlicht: »Mein König, ich stehe Euch zur Verfügung.«
Das Gespräch zwischen Sounis und seinem künftigen Oberherrn war genauestens geplant und alles andere als privat. Sounis wurde von einer amorphen Menschenmasse, die sich unterwegs ausdehnte und wieder zusammenschrumpfte, durch den Palast geleitet: Gardisten, Höflinge, Haushofmeister und Schaulustige umgaben ihn,
Weitere Kostenlose Bücher