Die Legenden von Attolia 4: Die Verschwörer (German Edition)
hier unter Freunden. Was geschehen ist, ist ein Missverständnis, ein bedauerliches Missverständnis.« Er sah die Toten an und schüttelte den Kopf. Ich hätte gern mein Schwert nach ihm geworfen, aber das hätte nicht viel Sinn gehabt. Stattdessen bot ich es Brimedius dar, der es mir höflich zurückgab, und wir gingen alle den Hügel hinunter.
Und so war ich am späten Nachmittag in Brimedius, fast genau so, wie ich es von Anfang an geplant hatte.
Unsere Packtiere waren während der Kämpfe zurückgelassen worden, ebenso unsere Pferde. Sie wurden von Brimedius’ Männern eingefangen, und so hatte ich mein Gepäck bei mir, als ich eintraf: meine neuen Kleider, meine Bücher und Papiere, mein Reiseschreibpult und den kleinen Kasten mit Attolias Geschenk. Alles wurde in die Gästezimmer hinaufgeschleppt.
Diener brachten mir Badewasser, während ein Kammerherr mir Brustharnisch und Kleider abnahm. Leider nahm er auch deinen Brief, den ich an meiner Brust geborgen hatte.
»Gebt mir das zurück«, sagte ich zornig. Aber zu dem Zeitpunkt war ich schon halb nackt und nicht in der besten Verfassung, irgendjemanden einzuschüchtern. Er lehnte es bedauernd ab, mir den Brief zurückzugeben, und ich war hilflos. Das wussten wir beide. Ich hatte keinen Grund, dem Kammerherrn daran die Schuld zu geben, aber ich tat es. Ich hasste ihn offen gestanden. Ich hasste sie alle leidenschaftlich.
Ich saß im heißen Wasser und schmollte, wobei ich die Diener ignorierte, die sorgfältig meine Sachen auspackten, jedes Pergament und Papier hervorholten und an sich nahmen, das irgendetwas Schriftliches enthielt, ja, sogar das leere Papier und das Schreibzeug. Attolias Kasten ruhte gut sichtbar auf einem Tisch. Ich sah aus dem Augenwinkel zu, wie der Kammerherr ihn öffnete, die Pistole, die Kugeln und die Kugelgussform herausholte. Ich blickte beiseite, als er den Trennboden hob, um sich anzusehen, was sich darunter befand. Ich versuchte, nicht den Atem anzuhalten, als er es betrachtete, aber nicht anrührte, sondern die Pistole zurücklegte und den Deckel schloss.
So wusste er nun, was in dem Kästchen war, ich hingegen nicht, obwohl ich erraten konnte, dass es kein Pergament oder Papier war, denn sonst hätte er es genommen. Ich hatte das Kästchen schon mehrfach geöffnet, sogar die Pistole herausgehoben, mit den Fingerspitzen über den filzbespannten Einlegeboden gestrichen und angestrengt darüber nachgedacht, welche Botschaft der König von Attolia mir wohl geschickt hatte, aber ich hatte nicht nachgesehen, um es herauszufinden. Ich hatte mich noch nicht entschieden, was ich mit Attolias Geschenk und ihrem Rat anfangen würde. Ich wollte zu gern glauben, dass es einen besseren Weg gab, Menschen zu führen, als sie einzuschüchtern. Gen hatte doch so gut wie das Gleiche gesagt, als er mich gedrängt hatte, nach einer Alternative zu suchen.
Was auch in dem Kästchen lag, der Kammerherr hatte es mitsamt der Pistole zurückgelassen. Was für eine seltsame Welt ist es doch, in der man Gefangenen ihre Waffen lässt, während geschriebene Worte eine tödliche Gefahr darstellen!
Ich nahm in Gesellschaft von Brimedius und Akretenesh ein vorzügliches Abendessen samt Wein ein; sie musterten mich gründlich. Meine mürrische Stimmung minderte meinen Appetit keineswegs.
Ich bin nicht Gen. Ich kann nicht überzeugend lügen. Er und ich waren uns einig gewesen, dass es töricht von mir gewesen wäre, es zu versuchen, wenn doch jeder Gedanke, der mir durch den Sinn geht, für alle erkennbar auf meinem Gesicht erscheint. Gen hatte mir den Ratschlag gegeben, dass es die beste Strategie sein würde, es mit Aufrichtigkeit zu versuchen, und so ließ ich Akretenesh die Wahrheit sehen: dass ich mich vollkommen in seiner Gewalt befand und darüber äußerst unglücklich war.
Ich verhehlte meine Verachtung nicht, als Akretenesh die bedauerliche Abfolge von Ereignissen erläuterte, die einen Keil zwischen meine Barone und mich getrieben hatte; an allem sei mein Onkel Sounis schuld gewesen. Wie Melheret angekündigt hatte, bot Akretenesh sich und das Meder-Reich als neutralen Vermittler an. Ich lehnte dankend ab.
Als ich nach Hanaktos fragte, versicherte mir Brimedius, dass es zu einem Missverständnis gekommen sei. Die Rebellen hätten gewusst, dass mein Vater für ein Bündnis mit den Medern war, um den Krieg mit Attolia zu beenden, und so hätten sie einem Angriff auf ihn nie zugestimmt. Er behauptete, dass Hanaktos’ Bruch der Regeln der
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