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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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meiner Kollegen die Ereignisse in unserem Nachbarland mit keinem Wort kritisieren? Vor einer Invasion brauchen wir uns nicht zu fürchten, aber wenn Russland uns das Gas und den Atomstrom abdreht, bricht unsere Wirtschaft zusammen.»
    Wir aßen in der Kantine des Anbaus ein vegetarisches Mittagessen, zusammen mit zwei sozialdemokratischen Atomkraftgegnerinnen, mit denen Helena befreundet war. Meine Zeit als Parlamentsassistentin würde in einer Woche ablaufen. In der grünen Fraktion freute man sich bereits auf Saara Hirveläs Rückkehr, speziell auf die Dinkelbrote und Pilzpasteten, die sie zu Hause backte und zur Arbeit mitbrachte. Eine Leibwächterin brauchte Helena auch nicht mehr, und bei dem Gedanken spürte ich fast ein bisschen Wehmut.
    Der Stand der Grünen in der Innenstadt war ein kleines Holzhaus. Offensichtlich hatten Obdachlose darin übernachtet und ihre Spuren hinterlassen. Ich fegte den Boden wie eine beflissene Magd. Als die ersten Leute hereinkamen, verließ ich die Bude; Helena fragte mich zum Glück nicht, wohin ich wollte. Bis zum Hotel Torni war es nicht weit, doch es kam mir vor, als begäbe ich mich in eine andere Welt. Als ich vor dem Hotel stand, rief ich David an.
    Ich hatte es immer vorgezogen, meine Liebhaber in Hotels zu treffen. Hotels waren Orte des Durchgangs, ohne Verbindung zum Alltag. Nie hatte ich mich dazu überreden lassen, in die Wohnung eines verheirateten Mannes zu gehen, obwohl ich in Lofts mit Aussicht auf den Central Park und in eine Villa auf einer Insel vor Hiittinen eingeladen worden war. Ich wollte keine Besitztümer von Ehefrauen und Kindern sehen, keine Hausschuhe tragen, die einer anderen gehörten, nicht darüber nachdenken, wer die Handtücher und Laken gewaschen hatte, die ich benutzte. In Hotels gehörte alles dem jeweiligen Gast in genau diesem Moment.
    David kam im verglasten Aufzug herunter, und ich hätte beinahe aufgeschrien: Er hatte Haare auf dem Kopf! Die schwarzen, über die Ohren fallenden Locken waren natürlich eine Perücke, aber warum behielt er sie bei unserem Treffen auf? Er lächelte über meine Verblüffung und hielt mir die Fahrstuhltür auf.
    «Ist das dein Mitbringsel aus Spanien? Der Skalp von einem Matador?»
    «Warum sollten nur Frauen Perücken tragen dürfen? Auch Männer können mit ihrer Frisur spielen», sagte David, und seine Stimme klang kühl. Ich erinnerte mich wieder daran, wie er an mir vorbeigegangen war, als ich in Reiskas Gestalt Helenas Gartenzaun gestrichen hatte. Natürlich hatte er mich erkannt. Aber wenn er tatsächlich für Europol arbeitete, hatte die Perücke vermutlich ihren Grund. Auch seine Augen wirkten fremd. Früher waren sie blaugrau gewesen, nun war die Iris tiefblau mit braunen Flecken. Unter welchem Namen hatte er sich wohl im Hotel angemeldet?
    Auch als wir den Aufzug im dritten Stock verließen, berührte David mich nicht. Es war, als stünde neben mir ein ganz anderer Mensch als der, der mir aus Kotka geschrieben und sich am Telefon mit mir verabredet hatte. Ich spürte, wie meine freudige Erregung sich in enttäuschte Nervosität verwandelte. Das Ganze würde schiefgehen, fürchtete ich. David führte mich ans Ende des Flurs und schloss die Tür zum Zimmer 411 auf. Drinnen war es halbdunkel, die Vorhänge waren zugezogen, und es brannte nur eine Lampe. Nachdem David die Tür geschlossen hatte, setzte er die Perücke ab und sah wieder aus wie der Mann, mit dem ich mich vor einem Monat geliebt hatte.
    «Furchtbar heiß, als hätte man eine Pelzmütze auf dem Kopf! Hast du schon mal eine Perücke getragen?» David wartete meine Antwort nicht ab, sondern verschloss mir mit seinen Lippen den Mund, während er die Tür verriegelte. Ich erwiderte seinen Kuss, schlang die Arme um ihn, streichelte seine schweißfeuchte Glatze. Es war von Anfang an klar, weshalb ich hier war. David riss sich die Kleider vom Leib und half mir beim Ausziehen, er warf die Kissen vom Bett, begrub mich unter sich, drückte meine Brüste und drang in mich ein, und ich hatte nichts anderes im Sinn als diesen Moment, meinen Genuss, Davids Lächeln, seine Zähne an meinen Lippen, die von der Erregung und den Küssen anschwollen. Ich überließ ihm die Führung, mir war alles recht, ich folgte ihm, fügte mich, machte mit, das war genug.
    Hinterher lagen wir so nahe beieinander, dass ich nur Einzelheiten von Davids Gesicht sah. Zwei Aknenarben, die beinahe zusammengewachsenen Augenbrauen, schwarze Wimpern, die zu den dunkleren Augen und

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