Die Leibwächterin (German Edition)
Lippen über seine Schultern wandern. Ich hatte noch nicht genug von ihm. Da klingelte sein Handy. Ich hoffte, er würde nicht antworten, doch er stand auf, um das Telefon vom Tisch zu nehmen, hielt mich dabei aber fest umklammert wie eine Affenmutter ihr Junges, sodass ich ihm nicht vom Schoß fiel. Ich sah die Nummer auf dem Display nur so kurz, dass ich nicht erkennen konnte, aus welchem Land der Anruf kam.
«Stahl. In Helsinki.» Diesmal wurde das Gespräch auf Englisch geführt und hatte irgendetwas mit Autos zu tun. Es hörte sich so an, als wolle David sich einen Jaguar kaufen. Vielleicht war das aber auch ein Europol-Geheimcode. Ich stellte mir David als eine Art James Bond vor, obwohl ich wusste, dass Agententätigkeit hauptsächlich triste Bosselei war, bei der man allerdings sein Leben aufs Spiel setzte. Immerhin hatte er wie Bond eine Blondine im Schlafzimmer. Fehlte nur noch der trockene Martini, geschüttelt, nicht gerührt. Da David weiterhin telefonierte, stand ich auf und spähte in die Minibar, die aber nicht einmal Wodka enthielt, von Vermouth ganz zu schweigen. Ich öffnete ein Mineralwasser und trank direkt aus der Flasche. Dann sah ich zwischen den Vorhängen nach draußen, das Zimmerfenster lag zur Kalevankatu.
«Durstig?» David hatte das Gespräch endlich beendet. «Das war ein Zwischenhändler aus Amsterdam.»
«Ein Auto?»
Er nickte.
«Ein Jaguar?»
«Ja.»
«Rot?» Erst nachdem ich gefragt hatte, fiel mir ein, dass David die finnischsprachige Popkultur sicher nicht kannte, also auch nicht den Song von Kontravirtanen, der mit den Worten begann: «Wer fährt einen roten Jaguar?»
«Schwarz.» David legte von hinten die Arme um mich, ich spürte, wie sein Penis an meinem Rücken hart wurde. Egal, wer er war und was er mir vorschwindelte, in diesem Zimmer hatte die übrige Welt keine Bedeutung, wichtig war nur, wie sich die Berührung anfühlte. Wieder machte ich alle Fehler, vor denen Mike Virtue uns gewarnt hatte.
Allerdings ließ ich mich nicht dazu hinreißen, meinen Zeitplan umzuwerfen und Helena um eine freie Nacht zu bitten. Kurz vor acht Uhr ging ich. Es war viel angenehmer, diejenige zu sein, die das Zimmer verließ, als zurückzubleiben, am Laken zu schnuppern, die Lippenspuren am Glas zu betrachten und sich zu wünschen, nicht allein in dem breiten Bett schlafen zu müssen.
Wider alle Vernunft gab ich David meine Telefonnummer. Er würde am frühen Morgen wieder nach Spanien fliegen, aber bald zurückkommen. Ich spielte mit dem Gedanken, ihm nach Malaga zu folgen. Wenn der Mann sich einen Jaguar leisten konnte, hatte er höchstwahrscheinlich Geld genug, ein paar Tage lang seine Geliebte durchzufüttern.
Der Wahlzirkus in der zweiten Hälfte der Woche ging mir ziemlich auf die Nerven, und zu allem Überfluss musste ich Helena auch noch auf die Helsinkier Buchmesse begleiten, weil sie dort einen Auftritt hatte. Ich hatte in New York gewohnt, wo der Lärm der Metrozüge sämtliche Dezibelempfehlungen überschritt und die Menschen sich in den Straßen drängten. Dennoch war ich von dem Gedränge und der Kakophonie auf der Buchmesse überwältigt. Ich griff auf meine Leibwächterroutine zurück, um Helena zu der Bühne zu lotsen, wo sie auftreten sollte. Ihre Worte wurden aufgenommen wie das Evangelium. Sie wusste genau, wie man vor großem Publikum spricht. Nach ihrem Auftritt musste sie noch mehrere Stunden auf dem Messegelände verbringen, Autogramme geben und für Fotos posieren. Am liebsten hätte ich sie gewarnt; einer derjenigen, die mit ihr fotografiert werden wollten, konnte ein Messer bei sich haben, denn am Eingang zur Messe gab es keine Metalldetektoren. Doch ich hätte ja ohnehin nicht das Recht gehabt, die Leute nach Waffen abzutasten.
In der Nacht vor der Wahl blieb Helena in Helsinki. Da auch ihre Mitbewohnerinnen dort waren, ließ ich sie, mit Pfefferspray bewaffnet, bei ihnen zurück und fuhr mit der Straßenbahn zur Untamontie. Es war herrlich, Rock und Stöckelschuhe abzustreifen und die alte Trainingshose anzuziehen, die ich seit Wochen nicht mehr getragen hatte. Meine Mitbewohnerinnen ließen sich nicht blicken, das Alleinsein war eine Wohltat. Ich schickte eine schlüpfrige SMS an David und nahm mir anschließend die Kopie der Landkarte vor, die Helena per Post erhalten hatte. Worauf bezog sich die Ziffernserie, die jemand mit der Hand daruntergeschrieben hatte?
Ich suchte den Ort mit Google Earth und fand die Bestätigung, dass es sich tatsächlich um
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