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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Eines Tages rief Onkel Jari mich von Hakkarainens Telefon an und erklärte, wenn der Berg nicht zu Mohammed komme, bleibe Mohammed keine andere Wahl, als den Berg zu besuchen. Aber Onkel Jari fühlte sich in Vantaa und der gesamten Hauptstadtregion nicht wohl. Er hatte sein Bestes getan, um nicht wie ein Hinterwäldler auszusehen, war für die neuen Jeans vermutlich bis nach Kuopio gefahren, er war im Dorf zum Friseur gegangen und hatte sich mit Teerseife gewaschen.
    Er erschrak, als er merkte, wie erschöpft ich war. Beim Wachdienst hatte ich einen Kollegen gefunden, der für mich einsprang, aber die Zeitungen am nächsten Morgen musste ich austragen. Als ich meinem Onkel erzählte, was ich alles tat, war er entsetzt.
    «Ist das Leben hier so teuer? Kann man als Alleinstehende nicht mit einem Gehalt auskommen?»
    Da hatte ich mein Stichwort, die Gelegenheit, von meinem Traum und von New York zu erzählen. Und ich nutzte sie, obwohl ich wusste, dass ich Onkel Jari damit Kummer bereitete. Er schwieg lange, lief in meiner Wohnung im Kreis wie Frida, wenn sie im Schuppen eingesperrt war.
    «Du hast ein Sparbuch», sagte er schließlich. «Von der Mutter deines Vaters. Fünfzigtausend Mark sind drauf. Ich habe es für dich verwahrt, damit es sich kein Filou unter den Nagel reißt, falls du auf so einen reingefallen wärst, wie deine Mutter …» Er unterbrach sich. Beinahe hätte er etwas gesagt, worüber nie geredet wurde.
    Mir war schwindlig. Ich hatte Geld! Mit fünfzigtausend hätte ich mir natürlich auch etwas anderes leisten können, ein Auto zum Beispiel oder eine Weltreise. Onkel Jari erklärte mir, vor meinem vierundzwanzigsten Geburtstag könne ich das Geld nicht ohne seine Erlaubnis abheben. So habe es meine Großmutter festgelegt. Doch er gab mir seine Zustimmung, und so flog ich nach New York. Mein einziger Zukunftsplan bestand darin, die Sicherheitsakademie in Queens mit möglichst guten Noten zu absolvieren. Die Schule für Bodyguards erinnerte mich mit ihrer strengen Gruppendisziplin und dem Teamgeist an die Armee, nur hatten die Kursteilnehmer den unterschiedlichsten ethnischen Hintergrund. Queens war unvorstellbar weit weg von Hevonpersiinsaari, doch ich war ich selbst geblieben, auch in der Fremde.
    Am Samstag war ich bereit, die Konsequenzen meiner Handlungen zu tragen. Auf der Fahrt nach Joensuu gestand ich mir ein, dass es der schlimmste Fehler meines Lebens gewesen war, Anita in Moskau alleinzulassen. Dieser Fehler würde mich bis an mein Lebensende verfolgen. Im Zug setzte ich mich hinter zwei fröhlich kichernde junge Frauen und wartete, bis sie sich in Fahrt geredet hatten. Dann rief ich Laitio an und teilte ihm mit, ich sei auf dem Weg nach Helsinki. Die eine der beiden Frauen lachte schallend. Ich hielt mein Handy in ihre Richtung und sagte wütend am Telefon vorbei, da gebe es nichts zu lachen. Ich spürte Laitios Verlegenheit so deutlich, als ob er neben mir säße. Ich sagte zu ihm, ich würde woanders weiterreden, und ging dann in den Durchgang zwischen den Waggons.
    «In der Bahn sitzen wir also?», fragte Laitio, dem die veränderte Akustik offenbar nicht entgangen war. «Wann ist der Zug in Pasila?»
    Um acht, antwortete ich, und Laitio sagte, er werde mich dort abholen. Ich wies ihn nicht darauf hin, dass der Zug auch in Tikkurila hielt, in der Nähe der Zentralkripo, wo er saß. Sollte er ruhig hin und her fahren, wenn er zu blöd war, sich über die Zugverbindungen zu informieren.
    «Ich warte am oberen Ende der Rolltreppe, und ich bin nicht in Uniform. Ich erkenne dich, ich habe dein Foto aus dem Wächterregister.»
    Das klang beinahe wie eine Drohung. Zum Glück hatte ich mehrere Stunden Zeit, mich seelisch vorzubereiten. Ich war unschuldig, hatte mir nichts vorzuwerfen. Diese Haltung musste ich mir zu eigen machen, um Laitio zu überzeugen. Ich versuchte mich zu entspannen, so gut ich konnte, und schaffte es, mich in eine Art Trance zu versetzen, in der ich Anitas letzte Tage rekapitulierte. Wen hatte sie wohl an der Fruzenskaja treffen wollen?
    Es schien mir schwierig, jemandem, der Frida nie begegnet war, den Streit um den Luchsmantel zu erklären. Sie war viel mehr für mich gewesen als ein Haustier, sie hatte mir die Schwester ersetzt, die ich mir vergeblich gewünscht hatte. Obwohl Frida halb zahm war, verhielt sie sich unberechenbar. Sie handelte instinktiv, konnte auch in mir und Onkel Jari Feinde sehen, wenn wir ihr dazu Anlass gaben. Allerdings griff sie uns nie an,

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