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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Ich war sicher, dass ich gleich sterben würde. Wenn Frauen nicht taten, was die Männer wollten, kamen sie ums Leben.
    Vielleicht wäre ich tatsächlich gestorben, unter Holopainens Gewicht erstickt, wenn Onkel Jari nicht gekommen wäre. Er war ohnehin schon schlecht gelaunt: Der Elch war genau an der Stelle aus dem Treiberkreis ausgebrochen und im See davongeschwommen, wo mein Onkel Wache stand, und man hatte ihm die Schuld gegeben. Der Anblick von Holopainens Traktor auf unserem Hof hatte seine Laune nicht gebessert. Später sagte er, es sei ein Glück gewesen, dass ihm als Erstes der Besen in die Hand kam, den ich hatte fallen lassen, und nicht ein Beil oder eine Eisenstange. So kam Holopainen mit blauen Flecken davon. Später gab er vor, sich an den Zwischenfall nicht zu erinnern, doch seine Blicke verrieten etwas anderes.
    Natürlich hätten wir die Polizei einschalten müssen. Aber Onkel Jari fürchtete wohl, ich würde ihm weggenommen, und ich war über meine Angst so entsetzt, dass ich niemanden daran teilhaben lassen wollte. Onkel Jari brachte mich in die Sauna, wo ich mich schrubbte, bis meine Haut feuerrot war. Meine Kleider verbrannte ich im Saunaofen, nur die Schuhe meiner Mutter hob ich auf. Ein paar Tage später ging Holopainens Traktor mitten in der Nacht in Flammen auf. Der Schuldige wurde nie gefunden. Nur ich wusste, dass Onkel Jari in der bewussten Nacht nach Benzin gerochen hatte, als er nach Hause kam.
    Es dauerte Jahre, bevor ich es wieder über mich brachte, Madonnas Musik zu hören. In New York zwang ich mich, ihr Konzert zu besuchen, und tanzte in der Menge zu Like a Virgin . An der Sicherheitsakademie malte ich mir oft aus, was ich mit Holopainen anstellen würde, wenn er mir zufällig begegnete: ihn ein paarmal zu Boden werfen, dass er sich den einen oder anderen Knochen brach, oder ihn zwingen, nach dem Takt meiner Glock zu tanzen, bis er sich in die Hose machte und um Gnade winselte.
    Das Wichtigste war jedoch, dass ich keine Angst vor Holopainen mehr hatte. Ich hatte ihn in Gedanken besiegt. Und genau so würde ich auch mit Paskewitsch und Laitio fertigwerden. Ich bat die Hakkarainens, Holopainen Grüße auszurichten, obwohl es mir in Wahrheit völlig egal war, was aus ihm wurde. Von mir aus konnte er sich zu Tode saufen. Im Grunde ärgerte es mich, dass er noch lebte und mein Onkel nicht.
    Die Hakkarainens behandelten mich wie eine gute alte Freundin, und durch sie fand ich die Verbindung zu meiner Vergangenheit wieder, die ich schon beinahe verloren geglaubt hatte. Ich hatte keinen Kontakt zu meinen Mitschülern gehalten, denn es störte mich, dass sie in der letzten Klasse Dinge über mich erfahren hatten, die ich hatte verheimlichen wollen. Nach dem Abitur war ich dann nach Vantaa gezogen, hatte einen Wächterkurs absolviert und ein Jahr lang hier und da gearbeitet, bevor ich mich bei der Armee beworben hatte, die damals endlich auch Frauen aufnahm. Ich war so daran gewöhnt, in Onkel Jaris Männerdunst zu leben und Waffen als normale Gebrauchsgegenstände zu betrachten, dass mir der Militärdienst leichtgefallen war. Natürlich wurden die ersten Frauenjahrgänge besonders genau beobachtet, aber mir war es nur recht, Mauern einzureißen. Schon in der Armee hatte ich von der Sicherheitsakademie in Queens gehört und von der zweijährigen Spezialausbildung. Dort würde ich in der Menge verschwinden, in New York wusste niemand von meiner Vergangenheit. Das Problem war nur, dass die Ausbildung zwanzigtausend Finnmark pro Jahr kostete, plus Flug, Verpflegung und Unterkunft, und dass ich nicht annähernd so viel Geld besaß.
    Nach der Armee hatte ich begonnen, in drei Jobs zu arbeiten, was allerdings auch nicht viel Sinn machte, weil ein großer Teil der Einkünfte für die Steuern draufging. Ich arbeitete als Wächterin, trug Gratiszeitungen und Reklamepost aus, obwohl ich sie unmoralisch fand, und schuftete als Putzfrau auf Baustellen, sooft die Zeit reichte. Ich brachte es nicht über mich, Onkel Jari von meinen Amerika-Plänen zu erzählen, denn er fand es schon schlimm genug, dass ich weit weg in Vantaa lebte. Im Prinzip verstand er meine Entscheidung natürlich. Wovon hätte ich in Kaavi leben sollen? Vielleicht hatte er gehofft, ich würde einen der Junggesellen aus den Nachbardörfern heiraten und Kleinbäuerin werden, aber er wusste selbst, dass das für mich nicht in Frage kam.
    Da ich schuftete wie ein Pferd, hatte ich monatelang keine Zeit, nach Hevonpersiinsaari zu fahren.

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