Die Leibwächterin (German Edition)
Hakkarainens geholfen. Weiter weg auf einer Weide war ein Pferd zu sehen, neben dem ein Fohlen stakste.
Ich klopfte, doch als niemand reagierte, drückte ich die Klinke herunter. Hier draußen auf dem Land schloss man die Türen immer noch nicht ab. Seit meinem letzten Besuch war in der guten Stube eine neue Sitzgarnitur mit braunem Lederbezug aufgetaucht. Ich rief nach Matti und Maija und ging dann in die kleine Kammer, in der Matti früher sein Büro gehabt hatte. Damals hatte die Milchbuchhaltung viele braune Pappordner gefüllt, jetzt stand ein Computer in der Kammer, einige Jahre alt. Ich schaltete ihn ein und stellte die Internetverbindung her. Zu meinem Glück brauchte ich kein Passwort einzugeben. Ich nahm mir vor, Hakkarainen bei Gelegenheit einen kleinen Vortrag über Datenschutz zu halten.
Als Erstes las ich die Seiten der finnischen Abendzeitungen, doch sie gaben nichts her, was ich nicht bereits aus den Fernsehnachrichten wusste. Dagegen ging das schlimmste Moskauer Boulevardblatt in die Vollen. Mit Hilfe des Wörterbuchs reimte ich mir zusammen, dass Anita als superreiche finnische Geschäftsfrau dargestellt wurde, die den Russen beim Villengeschäft das Geld aus der Tasche zog.
Als ich die Bildikone neben dem Text anklickte, erstarrte ich. Die Frau lag seitlich auf der Straße, um ihren Kopf hatte sich eine Blutlache ausgebreitet wie ein makabrer Strahlenkranz. Über die Augen war ein schwarzer Balken gedruckt, aber ich erkannte Anita trotzdem sofort. Der Täter hatte sich nicht mit einem Schuss begnügt, sondern blindlings drauflosgefeuert. Anitas neuer Luchsmantel war ein einziges blutiges Knäuel. Es war, als wären die Luchse zweimal getötet worden: Zuerst hatte man sie ihres Fells wegen abgeschlachtet, dann hatte man den schönen Pelzmantel sinnlos zerfetzt.
Ich betrachtete das Foto lange. Es war schrecklich.
Ich glaubte, dass ich fähig sein könnte, einen Menschen zu töten, das gehörte zu meinem Beruf. Aber wäre ich in der Lage gewesen, ein derartiges Gemetzel anzurichten?
An die Ereignisse des Tatabends erinnerte ich mich immer noch nicht, aber immerhin war mit meiner Waffe nicht geschossen worden. Dennoch konnte ich mich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit für unschuldig erklären, nicht einmal nach dem Drohanruf. Ich musste meine Unschuld nicht nur dem Polizisten Laitio beweisen, sondern auch mir selbst.
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Ich schaltete den Computer aus und setzte mich in die gute Stube der Hakkarainens, aber da sich auch nach einer halben Stunde niemand blicken ließ, ging ich hinaus. Ich begrüßte Tähti und ihr Fohlen, das zu mir stakste und an meinen Fingern leckte wie an der Zitze seiner Mutter. Als Kind war ich ein paarmal auf Tähtis Mutter Soma geritten, aber Soma war ein Zugtier gewesen und hatte sich nicht an den Sattel gewöhnen wollen. Nachdem ich eine Weile mit den Pferden geredet hatte, ruderte ich zu meiner Insel zurück. Ohne Internetverbindung fühlte ich mich hilflos. Jetzt rächte es sich, dass ich keinen Anschluss auf meinem Handy installiert hatte, um nicht zu leicht zu orten zu sein. An der Sicherheitsakademie hatte ich gelernt, dass man möglichst wenig Spuren hinterlassen darf, wenn man unsichtbar bleiben will. Das hatte Mike Virtue uns schon eingeschärft, als noch keine Terroristenparanoia herrschte.
Dass Anita ausgerechnet in dem Moment getötet worden war, als ich gekündigt hatte, machte wirklich einen bösen Eindruck. Es tat mir beinahe leid, dass ich nicht versucht hatte, einen Deal mit Walentin Paskewitsch auszuhandeln. Allem Anschein nach hatten seine Killer uns in Moskau schon tagelang verfolgt, und wahrscheinlich hatte einer von ihnen beobachtet, wie ich in den Zug nach Helsinki stieg. Vielleicht war es einer der Männer, die mir die Knock-out-Tropfen verabreicht hatten. Da der Zug halb leer gewesen war, hätte mein Schatten leicht einen Platz in meiner Nähe gefunden, vorausgesetzt, er hatte ein gültiges Visum für Finnland.
Vom Rudern hatte ich Blasen an den Händen und kam mir deshalb vor wie eine verzärtelte Stadtpflanze. Ich pflückte ein paar Liter Preiselbeeren, wofür ich nicht viel Zeit brauchte, denn der moosige Waldboden strotzte von ihnen. Danach versuchte ich, durch Meditation zur Ruhe zu kommen, doch die Gedanken sprangen wild in meinem Kopf herum und ließen sich durch keine der Techniken, die ich gelernt hatte, vertreiben. Im Alkoholrausch und unter Drogen ist der Mensch unberechenbar, dachte ich. Dann kann er
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