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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Risiko am größten war. Reiska war nicht betrunken, und ich hatte auch keine Lust, ihn den Betrunkenen spielen zu lassen. Allerdings wollte ich auch nicht schnurstracks nach Hause gehen. Also machte ich einen Abstecher zur Grillstube und rüttelte an der Tür. Sie war natürlich zu, ich wusste, dass das Lokal sonntags schon um neun Uhr schloss. Ich steckte mir eine Zigarette an und versuchte so auszusehen, als ob ich mir überlegte, wo die nächste offene Kneipe war. Doch es war offenbar ein Fehler gewesen, stehen zu bleiben.
    «Ey, Mann, gib uns auch eine!» Das Lederjackenduo stand vor mir. Das Finnisch des Sprechers war akzentfrei. Die beiden waren noch jünger, als ich auf den ersten Blick gedacht hatte, kaum volljährig. Ich holte die Schachtel aus der Tasche, die Burschen bedienten sich schweigend.
    «Was suchst du, Alter? Schnaps?», fragte der eine, der offensichtlich für das Reden zuständig war. Sein von Akne übersätes Gesicht war bereits grau vom Rauchen.
    «Nix weiter … Wollte bloß mal gucken, ob die Kneipe auf ist. Ich bin bei meinem Vetter auf Besuch.» Damit ging ich weiter, nicht nach Hause, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Ich hatte meine Waffe nicht dabei und wollte mich nicht in einen Faustkampf verwickeln lassen. Im Gegensatz zu Hilja hatte Reiska keine Ahnung von Judo, denn in meiner Verkleidung wollte ich keine Judogriffe anwenden, sofern es nicht um Leben oder Tod ging. Beim Nahkampf würde der Gegner womöglich merken, dass ich eine Frau war, und auf Cross-Dressing reagierten manche empfindlich.
    «Landei!», rief mir der gesprächigere Bursche nach. «Verdammter Bauerntrampel!»
    Reiska hätte sich vielleicht wütend auf die unhöflichen Schnorrer gestürzt, aber die Leibwächterin Hilja ging kein unnötiges Risiko ein. An der Straßenecke schlich ich auf den nächsten Innenhof und versteckte mich im Schatten hinter der Teppichstange. Die beiden Männer waren in dieselbe Richtung gegangen, suchten mich aber nicht, sondern schlenderten weiter. Ich wartete fast eine Viertelstunde, bevor ich mich auf Umwegen nach Hause wagte. Obwohl alle Fenster dunkel waren, traute ich mich in meiner Verkleidung nicht in die Wohnung, sondern entfernte im Keller Schnurrbart und Perücke. Zu Hause wusch ich mir die Schminke aus dem Gesicht und duschte ohne Rücksicht auf meine schlafenden Mitbewohnerinnen, um Reiskas Geruch loszuwerden. Es hatte mich traurig gestimmt, als Onkel Jaris Körpergeruch allmählich aus seiner Jagdweste verflogen war. Als ich mich schlafen legte, versuchte ich, mich an das Aroma zu erinnern, das mir früher Sicherheit gegeben hatte.

    Das Handy blieb die ganze Nacht stumm. Am nächsten Morgen aß ich eine große Portion Buchweizengrütze und trank eine halbe Flasche Tomatensaft. Dann stieg ich in die Straßenbahn nach Hakaniemi. Ich fuhr nicht zum ersten Mal zum Arbeitsamt, doch es war mir immer wieder unangenehm. Diesmal war ich wenigstens so schlau gewesen, ein Buch, eine Flasche Wasser und zwei Bananen mitzunehmen. Nach Eindreiviertelstunden kam ich endlich an die Reihe. Die Frau, die mich aufrief, näherte sich dem Rentenalter, und ihre durch die Brille stark vergrößerten Augen blickten apathisch. Ich gab meine Personaldaten an und berichtete von meinem beruflichen Werdegang.
    «Grund der Kündigung?»
    «Meinungsverschiedenheiten mit der Arbeitgeberin.»
    «Haben Sie ein Zeugnis bekommen?»
    «Nein.»
    Die Frau schnalzte mit der Zunge.
    «Sie sollten sich eins besorgen, sonst kann es schwierig werden, eine neue Stelle zu finden. In der Sicherheitsbranche ist Vertrauen wichtig.»
    «Geht leider nicht. Meine Arbeitgeberin ist tot.»
    Schon in der nächsten Sekunde bereute ich meine Worte. Was hätte mich daran gehindert, mir ein brillantes Zeugnis zu fälschen? Doch die Antwort lag auf der Hand: Hauptmeister Laitio. Ich hatte ihm dummerweise erzählt, weshalb ich gekündigt hatte. Obwohl mir die Vernunft sagte, dass Laitio keinen Zugang zu den Akten des Arbeitsamtes hatte, riet mir mein angeborenes Misstrauen, nicht zu lügen, wenn es nicht unbedingt nötig war.
    «Tot?» Die Arbeitsvermittlerin spitzte die Ohren. «Wie kam denn das so plötzlich?»
    Ich blieb ihr die Antwort schuldig. Wortlos unterschrieb ich die Papiere, in denen ich versicherte, dem Arbeitsamt ab sofort zur Verfügung zu stehen. Putzfrauen wurden jederzeit gesucht, erfuhr ich, und wenn mein Kontostand unter tausend Euro sank, würde ich tatsächlich putzen gehen. Der Gang aufs Arbeitsamt war

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