Die Leibwächterin (German Edition)
keine Verletzungen an meinem Körper entdeckt, aber vielleicht hatte man mich nicht betäubt, um mir Angst einzujagen oder Schaden zuzufügen, sondern um mir einen Sender zu implantieren. Auf einmal kribbelte mein ganzer Körper, als säße ich in einem Ameisenhaufen. Ich zog mich nackt aus, ging ins Bad und nahm den größten Spiegel des Hauses von der Wand, der allerdings nur sechzig mal dreißig Zentimeter maß. Dann holte ich meinen Taschenspiegel dazu und suchte meinen Körper Stück für Stück ab. Keine frischen Narben oder Schwellungen. Ich kämmte meine Haare mehrmals durch und tastete die Kopfhaut ab, ließ den Metalldetektor über meinen Körper wandern und steckte ihn sogar in den Mund. Anschließend inspizierte ich jeden einzelnen Zahn. Keine neuen Plomben, und die beiden alten sahen so aus wie immer. Ich zog einen dünnen Gummihandschuh über die rechte Hand und überprüfte meine Spirale, auch sie saß am üblichen Platz. Schließlich untersuchte ich alle Gegenstände, die ich in der Bar Swoboda bei mir gehabt hatte. Bei der Lederjacke piepte der Metalldetektor, doch das lag natürlich am Reißverschluss und den Nieten. Trotzdem tastete ich die Säume ab, und als ich am rechten Ärmel auf der Höhe des Ellenbogens einen verdächtigen Knubbel bemerkte, trennte ich die Naht auf. Es war nur ein kleiner Ersatzknopf, der wohl versehentlich zwischen Leder und Innenfutter geraten war. Dennoch warf ich ihn schnurstracks in die Mülltonne, so albern das auch war.
Ich glaubte keine Sekunde daran, dass irgendein Penner den Mord begangen hatte, wollte aber auch keine massive Verschwörungstheorie konstruieren. Es konnte durchaus sein, dass niemand die Miliz bestochen hatte. Vielleicht waren die Beamten ganz einfach froh über die praktische Lösung, die ihnen serviert worden war, und hatten die Ermittlungen eingestellt, denn die Miliz war überarbeitet. Laitio würde sie mit seinem Gebrüll kaum umstimmen können; wahrscheinlich würde das nicht einmal unserem ständig lächelnden Außenminister gelingen.
Auf meinen Reisen hatte ich gelernt, dass es keine allgemeingültige Wahrheit über Russland gab; immer wenn ich glaubte, etwas über die russische Seele gelernt zu haben, erfuhr ich in der nächsten Lektion das Gegenteil. Die meisten Russen, die ich kennengelernt hatte, waren freundliche Menschen, die einen ins Herz schlossen, wenn man auch nur ein paar Worte Russisch sprach. Aber es gab Dinge, über die man besser nicht mit ihnen redete. Viele von ihnen waren der Meinung, die Finnen hätten allen Grund zur Dankbarkeit, denn ohne die Russen wäre Finnland eine rückständige Provinz Schwedens geblieben. Sowjetrussland habe Finnland immerhin die Unabhängigkeit geschenkt.
Meinen amerikanischen Studienkollegen hatte ich dagegen lang und breit erklären müssen, weshalb Finnland im Zweiten Weltkrieg ein Bündnis mit Deutschland geschlossen hatte. Ich hatte versucht, ihnen begreiflich zu machen, dass wir haargenau zwei Alternativen hatten: entweder Hitler oder Stalin. Es war eine tollkühne Behauptung, dass Finnland richtig gewählt hatte, als es sich für Hitler entschied, aber vereinfacht ausgedrückt war es nun einmal so. Als Stalins Verbündete hätten die Finnen jahrzehntelange Unterdrückung ertragen müssen, wie die Balten.
Ich schaltete den Fernseher ein. Er gehörte dem Vermieter, wie alle anderen Möbel. Ich hatte möglichst wenig eigene Sachen in das Sommerhaus mitgenommen, damit man es nicht zu leicht mit mir in Verbindung bringen konnte. Auch die Fernsehgebühr zahlte der Besitzer des Hauses. Ich zappte mich von einem Sender zum nächsten, hielt aber plötzlich an, weil ich ein bekanntes Gedicht entdeckt hatte.
Die Parlamentsabgeordnete Helena Lehmusvuo war ebenfalls Stammkundin im Chez Monique gewesen und unterstützte nun Monikas Projekt in Mosambik. Ihr Spezialgebiet waren Menschenrechte und Redefreiheit. Nach dem Mord an Anna Politkowskaja hatten führende finnische Politiker versucht, ihr den Mund zu verbieten, weil sie öffentlich behauptet hatte, der damalige russische Präsident Wladimir Putin habe den Auftrag zu dem Mord erteilt. Nun kommentierte Helena Lehmusvuo gerade das Versprechen Russlands, seine Truppen aus Georgien abzuziehen, sowie Premierminister Putins Erklärung, der Zerfall der Sowjetunion sei eine große geopolitische Tragödie gewesen. Lehmusvuo war Atomkraftgegnerin und kritisierte die Abhängigkeit Finnlands von der russischen Energieproduktion, unter anderem von Atomstrom
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