Die Leibwächterin (German Edition)
Aussehen.
«Schade, dass du seine Adresse nicht kennst, er hätte sich bestimmt über sein Porträt gefreut. Darf ich es dir abkaufen?»
«Wieso denn kaufen? Ich schenke es dir. Nimm auch von dem Kuchen mit, für Jenni und Riikka. Welche von beiden hat denn letzte Nacht im Treppenhaus gepoltert? Bestimmt Jenni, eine angehende Theologin tut so was bestimmt nicht …»
Zu Hause lieh ich mir Riikkas Mehrzweckdrucker und machte einige Kopien von Trankows Konterfei. Als ich es Riikka zeigte, meinte sie, das sei der Mann, der auch bei uns geklingelt habe.
«Wenn du ihn siehst, sag mir Bescheid», bat ich. «Und lass ihn unter keinen Umständen in die Wohnung.» Das wollte ich auch Jenni einschärfen, sobald sie wach wurde.
«Warum nicht?»
«Ein unangenehmer Typ. Läuft jedem Rock nach. Dem kommt man besser nicht zu nahe.»
«Hat er dir was getan?»
«Er hat’s versucht. Mehr mag ich dazu nicht sagen. Dienstliche Schweigepflicht, weißt du.»
«Einen schönen Beruf hast du! Mal ist die Polizei hinter dir her, mal sind es irgendwelche Gauner.»
Ich versuchte, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen, und sagte, die Dienste von Riikkas künftigem Berufsstand würde ich hoffentlich nicht so bald in Anspruch nehmen müssen. Tagsüber hatte ich am Bahnhof rasch eingekauft. Am Abend wollte ich noch einmal hin, um mich umzuhören. Zum Glück hatte Riikka beschlossen, mit der verkaterten Jenni ins Kino zu gehen, um sie aufzumuntern. Die beiden luden mich ein mitzukommen, doch ich zog es vor, die Gelegenheit zu nutzen und mich in mein Alter Ego namens Reiska Räsänen zu verwandeln. Diese Gestalt hatte ich ein paar Jahre zuvor bei einem Drag-King-Kurs erfunden, den Dylan Monroe, Marys Freund bei der TriBeCa, leitete. Ich hatte mir schon lange überlegt, dass eine männliche Zweitidentität mir nützlich sein könnte, und als Dylan gemailt hatte, er komme nach Finnland, hatte ich mich sofort für seinen Kurs angemeldet. Die anderen Kursteilnehmerinnen hatten sich glanzvollere Gestalten ausgedacht, Eishockeyspieler, Manager oder Heavies, während ich mich für einen normalen Durchschnittsfinnen entschieden hatte. Mein Reiska hätte einer der Männer sein können, mit denen ich bei der Armee im Mannschaftszelt Karten gedroschen hatte. Er hatte mausgraue Haare, etwas länger als meine blonde Meckifrisur, und versteckte die beginnende Glatze am Hinterkopf gern unter einer Baseballkappe. Seine Spiegelbrille war im Stil der siebziger Jahre gehalten, der bald wieder in Mode kommen würde, und sein Schnurrbart war so buschig wie seine Haare. Ich schminkte mir die Augenbrauen etwas breiter und strich mir eine Creme ins Gesicht, die meine Haut dicker wirken ließ und die Poren erweiterte. Reiskas Kleidung unterschied sich nur teilweise von meiner, denn Wanderschuhe und Jeans waren ebenso geschlechtsneutral wie die Trainingshosen und Turnschuhe, die er gelegentlich trug. Der braun-grau karierte Blouson hatte Onkel Jari gehört und war Reiska eine Spur zu eng. In Moskau und Sankt Petersburg ging er als ostfinnischer Tourist durch, dort boten ihm die Frauen hartnäckig ihre Dienste an. Das Wichtigste an Reiska war sein Gang. Er war männlich locker und selbstsicher, er signalisierte, dass man diesem Mann besser nicht in die Quere kam.
Die Stimme war mein größtes Problem gewesen. Meine Stimmlage war zwar Alt, aber ich hatte unverkennbar eine Frauenstimme. Reiska sprach darum undeutlich und heiser, außerdem stotterte er gelegentlich, was das Image des harten Burschen ein wenig ankratzte. Er gab sich alle Mühe, nicht so zu reden wie die Leute in meiner Heimat, aber nicht selten entschlüpften ihm Dialektausdrücke, und sein Tonfall war eindeutig ostfinnisch.
Dylan hatte mich gefragt, weshalb ich ausgerechnet Reiska sein wollte, ein quasi unsichtbarer Jedermann. Gerade weil Reiska uninteressant ist, hatte ich ihm geantwortet. Die Frauen würden ihm nicht nachseufzen und die Männer ihn nicht als Bedrohung empfinden, obwohl er ein gesundes Selbstvertrauen besaß. Er hatte nichts an sich, worum man ihn beneiden konnte, und der Dialekt stempelte ihn als Bauerntölpel ab, in dessen Anwesenheit man mitunter freimütiger redete als gewollt.
Ich vervollständigte meine Maskerade mit Reiskas Geruch. Er war ein moderner Mann, der Deodorant und Rasierwasser der gleichen Marke benutzte: Ferrari. Dazu kam das Aroma von Zigaretten. Ich rauchte auf dem Weg zur Bushaltestelle eine, obwohl ich dabei husten musste. Es war wichtig, dass Reiskas Geruch
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