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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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sich möglichst deutlich von meinem unterschied, deshalb träufelte ich gelegentlich Benzin oder Schwefel auf seine Kleider. Bloß gegen die Tatsache, dass unsere Fingerabdrücke identisch waren, hatte ich bisher noch kein Mittel gefunden. Wann immer die Jahreszeit es zuließ, trug Reiska braune Lederhandschuhe mit Strickbündchen.
    Reiska kannte verschiedene Leute aus den Cliquen, die am Bahnhof herumhingen, einschließlich ein paar illegaler Schnapshändler. Da eine als Mann verkleidete Frau einige Jahre jünger wirkt, ging er als fünfundzwanzigjähriger Zugereister vom Land durch. Für einen wie ihn war es ziemlich leicht, sich im Dunstkreis der multinationalen Teenagergruppen aufzuhalten. Unter den Trupps, in denen Finnisch und Russisch durcheinandergesprochen wurde, suchte ich mir einen aus, bei dem auch zwei etwa dreißigjährige Männer in Lederjacken standen. Schon nach ein paar Minuten sprach der eine der beiden mich an.
    «Was suchst du?», fragte er mit russischem Akzent. «Die Mädchen hier sind nicht käuflich.»
    «Was soll ich mit Mädchen?»
    «Magst du Jungen lieber? Hier sind keine für dich, aber für einen Fuffziger gebe ich dir eine gute Adresse.»
    «Ich suche einen ganz bestimmten. Einen russischen Künstler. Der hat meiner Tante ein tolles Bild verkauft, so eins will ich auch. Juri Trankow, kennst du den? Fährt Müllautos und malt Tierbilder.»
    Der Russe musste sich anstrengen, denn Reiskas Dialekt war für ihn ungewohnter als der Helsinkier Slang.
    «Ich kenn keinen Maler», sagte er. «Aber ich kann mich umhören. Gib mir deine Telefonnummer. Und ’ne Kippe würde mir auch schmecken.»
    Ich hielt dem Mann meine Zigarettenschachtel hin. Er beäugte sie misstrauisch und schüttelte den Kopf über die milde Sorte. Es war die einzige, die ich rauchen konnte, ohne zu ersticken, und zudem die billigste, daher passte sie zu dem knauserigen Reiska. Während der Mann ohne Rücksicht auf das Rauchverbot am Bahnhof die Zigarette anzündete, kritzelte ich eine meiner Telefonnummern auf ein Stück Papier. In den nächsten Tagen würde ich den dazugehörigen Prepaid-Anschluss notgedrungen eingeschaltet lassen. Die Hilfsbereitschaft des Russen war mir nicht ganz geheuer. Bald nach dem Wortwechsel ging Reiska in die Stehkneipe in der Bahnhofshalle und hielt Ausschau nach weiteren Typen, die er nach Trankow fragen konnte. Er bestellte ein großes Bier, um kein Aufsehen zu erregen.
    Das Schwierigste für Reiska war es, sein Geschäft zu verrichten. Ich hatte geübt, im Stehen zu pinkeln, um ein ähnliches Plätschern zu erzeugen wie die Männer, doch es gab leichtere Übungen. Pissoirs kamen nicht in Frage, und ein Mann, der in die Kabine ging, dort aber nur pinkelte und nichts anderes produzierte, galt als seltsam, zumal wenn er aussah wie Reiska. Deshalb musste ich mit dem Biertrinken vorsichtig sein, wenn ich einen langen Abend vor mir hatte.
    Am Bahnhof herrschte der übliche Sonntagabendbetrieb: Die Studenten kamen zurück, die Rekruten stiegen in den Zug nach Hämeenlinna, von wo sie nach Parolannummi zur Kaserne weiterfahren würden, und die Provinzler, die ein Wochenende lang die Wunder der Hauptstadt bestaunt hatten, traten den Heimweg an. Nachdem er sein Bier ausgetrunken hatte, schlenderte Reiska erneut durch die Halle. Er war einer der Typen, auf die die Polizei überhaupt nicht achtete, während die Männer vom Wachdienst sie gelegentlich aus den Ecken scheuchten.
    Reiska trieb sich bis Mitternacht am Bahnhof herum, doch ohne Erfolg. Der Russe verschwand schon gegen zehn, und zu seiner Clique stießen immer jüngere Burschen, denen es allem Anschein nach egal war, dass sie am nächsten Morgen zur Schule mussten. Reiska trank im Café noch eine Tasse Tee und erwarb sich damit das Recht, eine saubere Toilette zu benutzen. Sein Handy blieb stumm. Da der drittletzte Bus des Abends fast leer war, fielen Reiska die beiden jungen Burschen in Lederjacken auf, die in der letzten Bank saßen. Er konnte nicht hören, in welcher Sprache sie sich unterhielten; dem Aussehen nach konnten sie ebensogut Finnen wie Osteuropäer sein. Reiska saß entspannt da, aber die Hilja in seinem Innern war auf der Hut.
    Die beiden Burschen stiegen an derselben Haltestelle aus wie Reiska. Die Mäkelänkatu lag still da, nur ein einzelnes Taxi störte die friedliche Nacht. Reiska schritt forsch aus, ohne sich umzublicken. Junge Männer wie er hatten am wenigsten Angst davor, überfallen zu werden, obwohl gerade für sie das

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