Die Leibwächterin (German Edition)
Donnerstag nieselte es. Pentti Hirvonen lud Reiska auf eine Zigarette und eine Tasse Kaffee zu sich ein.
«Meine Alte ist zur Wassergymnastik. Sie wollte mich unbedingt mitschleppen, aber mit dem Gezappel fang ich gar nicht erst an. Wir schalten die Abzugshaube ein, dann merkt sie nicht, dass wir geraucht haben.»
Während der Kaffee- und Zigarettenpause erfuhr Reiska, dass das Ehepaar Hirvonen einerseits besorgt, andererseits stolz gewesen war, als eine echte Abgeordnete im Nebenhaus einzog. Sie gehörte zwar zur falschen Partei – die Hirvonens hatten immer die Sozialdemokraten gewählt –, aber immerhin konnten sie sich nun damit brüsten, dass ihre Nachbarin beim Nationaltagsfest im Präsidentenpalais gewesen war. Wie Pentti Hirvonen erzählte, hatten bisweilen «neugierige Gaffer» vor Helenas Haus gestanden, waren jedoch sofort weitergegangen, wenn er aus der Tür trat. Als Reiska vorsichtig nach der Post fragte, die aus dem Briefkasten genommen und durch den Türschlitz eingeworfen worden war, erklärte Hirvonen, davon wisse er nichts.
«Natürlich machen wir uns Sorgen, weil die Lehmusvuo den Putin und andere Russen so kritisiert. Über die Amerikaner kann man bei uns schimpfen, soviel man will. Denen ist unser kleines Land schnuppe, die meisten wissen wahrscheinlich nicht mal, dass es uns gibt. Aber bei den Russen ist das anders, mit denen muss man Frieden halten. Mich hat mein Vater im Fronturlaub gezeugt. Er hat den Krieg immerhin überlebt und bloß ein Bein verloren. Du bist noch so jung, du kannst nicht wissen, wie es unter Kekkonen war. Man musste lammfromm sein, damit die Russen nicht wütend wurden und wieder Krieg gegen uns führen. Schweden oder Amerika zu Hilfe zu rufen hätte überhaupt nichts gebracht. Das ist heute nicht anders, auch wenn da drüben jetzt neue Männer an der Macht sind. Sag deiner Arbeitgeberin ruhig mal, sie soll besser aufpassen, was sie über die Russen redet. Wir wollen keine Panzer an der Grenze. Sie ist doch hoffentlich nicht dafür, dass Finnland der Nato beitritt? Das wäre der blanke Wahnsinn!»
Reiska antwortete, er führe keine politischen Debatten mit der Abgeordneten, sondern renoviere lediglich ihre Wohnung. Es war gut, dass Pentti Hirvonen und seine Frau Eila glaubten, Helena sei wegen ihrer russlandpolitischen Auffassungen möglicherweise in Gefahr. So hielten sie wenigstens die Augen offen. Reiska riet ihnen, die Polizei oder wenigstens Frau Lehmusvuo persönlich zu informieren, wenn sie verdächtige Gestalten entdeckten.
In der mittleren Wohnung des fünfteiligen Reihenhauses lebte eine etwa zwanzigjährige alleinstehende Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Sie versuchte gar nicht erst, ihr Interesse an Reiska zu verbergen. Reiska war daran gewöhnt, dass Frauen ihm schöne Augen machten, obwohl er hinterwäldlerisch gekleidet war und einen Schnurrbart hatte. Er flirtete nur ein kleines bisschen mit der jungen Frau, denn er war im Grunde ein verantwortungsbewusster Mann und wollte keine falschen Hoffnungen wecken.
Am Dienstag und Mittwoch kam Helena abends mit dem Bus nach Hause. Sie teilte Reiska im Voraus ihre Ankunftszeit mit, und an beiden Abenden versteckte er sich in der Nähe der Haltestelle, um zu beobachten, ob Helena verfolgt wurde. Am Donnerstag fand eine Plenarsitzung statt, die sich in die Länge zog. Helena nahm den Zug, der um 23.12 Uhr abfuhr und kurz vor Mitternacht in Kirkkonummi ankam.
Reiska beschloss, sie am Bahnhof abzuholen. Helena würde kein Taxi nehmen, weil sie nur anderthalb Kilometer vom Bahnhof wohnte und ihr ein Spaziergang nach dem langen Arbeitstag guttat. Selbstverständlich musste eine Frau mitten in der Nacht allein unterwegs sein dürfen, auch im Minirock oder sturzbetrunken, und wenn ihr etwas zustieß, lag die Schuld natürlich bei dem, der sie überfallen oder vergewaltigt hatte. Davon war auch Mike Virtue in Queens ausgegangen. Doch dann hatte er ein langgedehntes «aber» hinterhergeschickt und uns eingeschärft, wir müssten Risiken erkennen, antizipieren und nach Möglichkeit abwehren.
Ich war spätnachts allein mit der Metro gefahren, hatte häufig den Kokaindealer meiner Vermieterin Mary getroffen und in Kaschemmen gefeiert, von denen ich mir in Hevonpersii nicht hätte träumen lassen. Ich war unbeschadet davongekommen, denn mir war immer bewusst gewesen, dass es überall Typen wie Seppo Holopainen gab, die sich nicht um Verbote scherten. Ich musste denken wie die Holopainens dieser Welt, um abschätzen
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