Die Leibwächterin (German Edition)
unterwegs. Zuerst wollte ich auch meine neue Telefonnummer angeben, doch dann schrieb ich nur, meine alte Nummer sei nicht mehr gültig. Zum Schluss klebte ich mir Reiskas Schnurrbart an. Im Treppenhaus begegneten mir keine Bekannten, in der Straßenbahn starrte mich niemand an. Reiska bestieg einen Bus nach Kirkkonummi, der nah bei Helenas Haus hielt. Unterwegs hörte er eine CD der Eläkeläiset und summte die Lieder mit. In der nächsten Woche würde er in Kirkkonummi die neue Platte der Band kaufen. Es war ein gutes Gefühl, wieder der harmlose Reiska zu sein, der keine Schuld am Tod eines Menschen trug und sorglos das Leben genießen konnte, zumal er nun wieder Arbeit hatte.
Ich hoffte, Helena Lehmusvuo würde vergessen können, dass sich unter Reiskas Verkleidung eine Frau verbarg. Notfalls würde ich sogar nachts Reiska bleiben, obwohl der Schnurrbart kitzelte und das Make-up die Haut klebrig machte. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, mir eine Halbglatze zu rasieren, aber dann die Haare doch nur ganz kurz geschnitten, damit die Perücke so fest saß wie eine Bademütze. An Helenas Haltestelle stieg außer Reiska niemand aus. Er hatte eine Eishockeytasche dabei, in der jemand von Helena Lehmusvuos Statur ohne weiteres Platz gefunden hätte. Meiner Schätzung nach wog sie nicht viel mehr als vierzig Kilo, ich konnte sie also in der Tasche aus dem Haus tragen, falls eine derart dramatische Aktion nötig war.
Auf der Straße rührte sich nichts, als Reiska bei Helena klingelte. Im Nachbarhaus bewegten sich allerdings die Jalousien. Schritte näherten sich, doch es dauerte noch eine Weile, bis die Tür geöffnet wurde. Offenbar war Helena klug genug, durch den Türspion zu schauen. Reiska würde als Erstes eine Sicherheitskette an der Tür anbringen.
Helena sah mich mit großen Augen an.
«Ich bin der Reiska Räsänen, Tag. Ich komm wegen der Renovierung.» Forsch und unaufgefordert ging ich ins Haus und durch den Windfang in die Diele, ohne die Schuhe auszuziehen. Die Bücherstapel lagen immer noch auf dem Fußboden, auf den leeren Regalen hatte sich in den wenigen Tagen bereits Staub gesammelt.
«Tag …» Helena wusste nicht, was sie sagen sollte. «Sie haben gut hergefunden?»
«Die Wegbeschreibung war klar genug. Wo tue ich mein Gepäck hin?»
«Sie können das Gästezimmer oben nehmen. Es liegt zwar zur Straße, aber hier ist es ziemlich ruhig.»
«Ich kann überall schlafen», versicherte Reiska. «Drinnen darf man sicher nicht rauchen. Oder vielleicht doch, wenn ich den Qualm zum Fenster rauspuste?»
«Rauchen Sie?»
«Wenn man feste arbeitet, braucht man das ab und zu. Ich kann aber in den Garten gehen, wenn Sie der Geruch stört.»
Reiska bemühte sich, korrekt zu sprechen, da er es immerhin mit einer Abgeordneten zu tun hatte. Er trug seine Tasche nach oben und kam mit Bohrmaschine, Schraubenzieher und zwei Sicherheitsketten zurück. Die Vordertür war dicht und einbruchsicher, die Hintertür zum Garten dagegen wie üblich weniger solide. Außerdem kam man auch durch das große Fenster leicht ins Haus: ein Stein durch die Scheibe, der Einbrecher hinterher. Eine Alarmanlage würde das ahnungslose Opfer wenigstens warnen.
Reiska arbeitete ein paar Stunden lang, brachte zuerst die Sicherheitsketten an und dann Alarmanlagen an allen Fenstern und Türen. Helena sah ihm interessiert zu. Meinem Verständnis nach waren alle Grünen fanatische Feministinnen, daher hätte es sie eigentlich nicht überraschen sollen, dass ich als Frau mich auf Elektrikerarbeiten verstand. Die Installation der Alarmanlagen war eine simple Arbeit, die ich an der Sicherheitsakademie in Queens schon im ersten Semester geübt hatte. Allerdings hatte ich bereits als Kind viel von Onkel Jari gelernt, weil ich ihm bei allen möglichen Arbeiten zur Hand gehen musste. Als Teenager hatte ich ihm jeden Sommer bei der Zimmermannsarbeit assistiert und wie selbstverständlich Kabel verlegt oder Steckdosen aufgeschraubt. In Hevonpersii war zwischen Männer- und Frauenarbeit kein Unterschied gemacht worden, Onkel Jari und ich hatten abwechselnd erledigt, was gerade zu tun war. Mein Onkel hatte Pilze eingelegt und Preiselbeeren eingekocht wie eine mustergültige Hausfrau.
Gegen neun Uhr klingelte mein Handy. Auf dem Display stand Jenni. Ich hatte den ganzen Abend mit der heiseren, wie im Pubertätsstadium zurückgebliebenen Reiska-Stimme gesprochen. Helena zuckte zusammen, als ich plötzlich wieder normal redete.
«Hallo, Jenni,
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