Die Leibwächterin (German Edition)
wieder in Hilja. Ich hängte den Spiegel an einen Ast, goss Reinigungsmilch auf einen Wattebausch, rieb mir die Schminke aus dem Gesicht, nahm Reiskas Perücke ab und kämmte meine plattgedrückten Haare. Dann vertauschte ich Reiskas Arbeitsstiefel mit meinen Turnschuhen und seinen Anorak mit meiner Lederjacke. Die Jeans taugte für uns beide. Nachdem ich mich noch einmal vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, entfernte ich Reiskas Hosenstallpolsterung. Ich hatte versucht mir vorzustellen, wie das Geschlechtsorgan den Gang beeinflusst, wie ein Mann es instinktiv schützt, wenn er hinfällt oder in einen Kampf verwickelt wird. Frauen sind in dieser Hinsicht weniger verwundbar. Einige Male, wenn ich beim Autofahren das Tempo auf zweihundert hochgejagt und die Grenzen meiner Fahrkunst ausgereizt hatte, war es mir schon vorgekommen, als wüchse mir ein Schwanz. Aus den Lautsprechern dröhnte Heavy Metal, und die Geschwindigkeit puschte meinen Testosteronspiegel hoch. Einmal hatte eine Auftraggeberin, die in Deutschland auf der Autobahn in meinem Wagen gesessen hatte, mich angefleht, den Fuß vom Gas zu nehmen. Ich hatte nur widerstrebend gehorcht, der Geschwindigkeitsrausch war einfach zu verführerisch gewesen.
Bevor ich Stahl anrief, legte ich mir eine glaubwürdige Geschichte zurecht. Ich hatte seine Nummer auf meinem neuen Handy gespeichert und setzte eine Prepaid-Karte ein, die meine eigene Nummer unterdrückte. Wenn Stahl nicht antwortete, würde ich ihm keine Nachricht hinterlassen. Ich bemühte mich, gleichmäßig zu atmen, als das Freizeichen erklang. Nach dem dritten Klingeln meldete sich Stahl.
«Wer ist da?», fragte er, zuerst auf Russisch, dann auf Schwedisch.
«Hej, David», antwortete ich auf Schwedisch. «Hilja hier, Hilja Ilveskero.»
«Hilja! Schön, dass du anrufst. Deine Nummer wird gar nicht angezeigt.»
«Mein Handy ist gestohlen worden, die Versicherung hat mir vorübergehend ein Ersatzgerät zur Verfügung gestellt. Kann sein, dass die Polizei den Dieb bald fasst, ich glaube zu wissen, wer es ist.»
«Wer denn?»
«Ein Junkie aus dem Nachbarhaus. Wie geht es dir? Bist du immer noch in der alten Heimat?»
David lachte auf. Ich versuchte, die Bedeutung seines Lachens zu entschlüsseln. Vielleicht «Ach, Kleine, hast du wirklich keine Ahnung?». Oder «Du hast mich doch gerade erst gesehen». Oder einfach «Schön, dass es dich interessiert»?
«Ich bin nach Kopparnäs zurückgefahren, weil für die nächsten Tage so schönes Wetter angesagt ist. Hier findet zwar irgendein Wochenendseminar statt, aber ich habe trotzdem mein altes Zimmer wiederbekommen. Hast du am Wochenende Zeit?»
Nun musste ich die Entscheidung für Helena und mich treffen. Ich beschloss, das Risiko einzugehen, denn David Stahl war sicher nicht zufällig nach Kopparnäs zurückgekehrt.
«Zufällig ja.»
«Lädst du mich in dein Ferienhaus ein?»
«Das geht leider nicht, eine meiner Freundinnen ist über das Wochenende dort. Sie hat eine Affäre mit einem verheirateten Mann, und die beiden brauchen ein sicheres Quartier.»
«Und du unterstützt dieses unmoralische Treiben?» Davids Stimme verriet mir, dass er lächelte.
«Was gibt mir das Recht, andere zu verurteilen? Jeder hat seine eigene Geschichte.»
«Vielleicht hast du recht. Kommst du dann zu mir? Wir könnten sehen, ob wir im Wald Pilze finden oder gar den berühmten Bären von Kopparnäs entdecken. Die Wirtin behauptet, in einer der letzten Nächte sogar einen Luchs gesehen zu haben.»
«Einen Luchs? Du hast mich überredet.» Helenas Seminar begann schon morgens, eine Bekannte aus Espoo würde sie im Auto mitnehmen. Ich könnte mitfahren und David erklären, meine Freundin habe mich vom Bus abgeholt.
«Bring Sachen zum Übernachten mit, ich habe wieder ein Doppelzimmer», sagte David, und ich spürte das vertraute Pochen im Bauch. Selbstverständlich würde ich mich auf eine Übernachtung einrichten. Mein Plan sah nämlich vor, David kampfunfähig zu machen. Ich versprach ihm, gegen elf Uhr in Kopparnäs zu sein. Das gab mir Zeit, beim Ferienhaus nachzuschauen, ob alles in Ordnung war, und mein Fahrrad zu holen. Nun musste ich mir noch überlegen, wie ich Helena meine Anwesenheit in Kopparnäs erklären sollte. Aber brauchte sie denn davon zu wissen? Wenn ich Glück hatte, war sie in einem anderen Nebengebäude untergebracht als David. Das einzige Problem wäre dann das Frühstück.
Ich rief Helena an und sagte ihr, ich müsse ein paar Dinge
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