Die Leibwächterin (German Edition)
auf mich zu. Ich drückte hastig auf die Klingel, denn ich ahnte, dass er mich nach Gerüchten über Anita ausfragen wollte.
Cecilia Nuutinen-Kekki hatte offenbar an der Tür auf mich gewartet, denn sie öffnete sofort. Sie hatte kaum Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, war klein und fast zu mager. Die schwarze Haarfarbe, die ihre Haut blass erscheinen ließ, konnte nicht echt sein. Cecilia hatte bereits tiefe Falten im Gesicht, obwohl sie erst dreißig war, ein paar Jahre jünger als ich. Sie war Magister der Wirtschaftswissenschaften und arbeitete für ein internationales Bankhaus, an dessen Namen ich mich nicht erinnerte.
«Komm herein!»
Die Wohnung war mir vertraut und wirkte dennoch fremd. Ich kannte den größten Teil der Einrichtung, die in Mailand gekauften Ledermöbel in dem riesigen Wohnzimmer, die als Geldanlage erstandenen Gemälde, die einerseits Profit bringen, andererseits zueinander passen sollten. Auf dem Glastisch standen ein Laptop und ein offener Aktenkoffer, ein drahtloser Printer druckte mitten auf dem Fußboden vor sich hin. Anita hätte den Anblick gehasst, die Geräte störten die Symmetrie des Raums.
Zwar sah Cecilia ihrer Mutter nicht ähnlich, doch sie bewegte sich auf die gleiche Weise, zielstrebig, aber irgendwie ruckartig. Ich hatte Anita einmal tanzen gesehen und festgestellt, dass sie keinerlei Rhythmusgefühl besaß. Musik hatte sie nur gehört, wenn es absolut nicht zu vermeiden war. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich sie und einen russischen Kunden in die Oper begleitet, wo «Figaros Hochzeit» gegeben wurde. Der Russe hatte immer wieder gelacht und die Arien mitgesummt, während Anita mit leidender Miene dagesessen und am Ende nur applaudiert hatte, um ihren Kunden nicht zu beleidigen. Die Mühe hatte sich gelohnt: Anita hatte dem Mann ein Inselgrundstück in Taipalsaari zu einem Preis verkauft, der alle lokalen Rekorde schlug.
Cecilia schien nicht zu wissen, wie sie anfangen sollte. Schließlich ließ sie mich noch einmal erzählen, weshalb ich ihrer Mutter den Dienst aufgekündigt hatte. Sie schien immer noch nicht zu glauben, dass ich ihr den wahren Grund nannte. Als ihr Handy klingelte und sie sich meldete, ohne sich bei mir für die Unterbrechung zu entschuldigen, ging ich in mein ehemaliges Zimmer. Die Putzfrau hatte das Bett abgezogen und meine Sachen ans Fußende gelegt. Das Luchsbild war nirgends zu sehen, auch der Papierkorb war leer. Ich warf die Unterhosen hinein. Der Schlafanzug war ein Überbleibsel vom letzten Winter, viel zu warm für den Sommer. Das eine der beiden T-Shirts hatte unter dem Arm ein Loch.
«Du warst plötzlich verschwunden.» Cecilia stand an der Zimmertür. «Ich musste das Gespräch annehmen. In den USA ist eine Krise ausgebrochen, die sich bald überall auswirken wird, auch hier. Zum Glück bleibt es meiner Mutter erspart, mit anzusehen, wie ihre Investitionen rasant an Wert verlieren.»
«Bist du ihre Erbin?»
«Ich weiß es nicht! Du etwa auch nicht? Mutter hat ein Testament gemacht, in finanziellen Dingen war sie immer penibel. Zum Kuckuck nochmal, eigentlich hätte ich gar keine Zeit, die Beerdigung zu organisieren, aber es muss ja sein. Der Trauergottesdienst ist am Freitag in der Felsenkirche. Das war die einzige, die in absehbarer Zeit frei war. Die Todesanzeige steht morgen in der Zeitung, die Gedenkfeier findet hier im Haus statt. Hier ist Platz genug, und um das Essen kümmert sich ein Catering-Service. Ich habe keine Ahnung, wie viele Gäste zu erwarten sind. Du wirst doch kommen?» Es klang wie ein Befehl.
«Wenn ich eingeladen bin.» Laitios untersetzte Gestalt kam mir in den Sinn. Nahmen Kriminalbeamte nicht an den Beerdigungen von Mordopfern teil? In Büchern und Filmen taten sie es jedenfalls. Allerdings hatte ich an der Sicherheitsakademie gelernt, dass jede fiktive Geschichte von ihrer eigenen Wirklichkeit erzählte, nicht von der, in der wir unser Alltagsleben führten. Die Alltagsrealität war viel entsetzlicher als alles, was sich ein Geschichtenerzähler ausdenken konnte, sie brachte immer wieder unangenehme Überraschungen.
«Die gehören mir», sagte ich und zeigte auf die Kleidungsstücke, die ich noch nicht in den Rucksack gepackt hatte.
«Das haben Felicia und ich uns schon gedacht, Mutter hätten sie nicht gepasst.» Felicia war Anitas Putzfrau, eine philippinische Import-Ehefrau, die es sattgehabt hatte, in einer kargen Stube in der Provinz zu hocken, weshalb sie sich von ihrem Mann hatte scheiden lassen, in
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