Die Leibwächterin (German Edition)
Fragen stellen.»
«Ein schönes Tier! Lass uns irgendwann mal gemeinsam nach Ösel fahren. Dort ist der Luchsbestand inzwischen auf beinahe sechshundert angewachsen, weil es so viele Rehe gibt.»
Ich dachte an Helenas Foto von Ösel, und die Kombination David und Luchse klang verlockend. Natürlich würde ich mitfahren.
«Ich mag Inseln. Ösel, Åland, Korsika, Island, Irland … Mir gefallen alle», sagte er.
«Ich war nur ein paarmal auf Åland, beruflich. Monika von Hertzen, meine Arbeitgeberin vor Anita, hatte Freunde dort.»
Mike Virtue, mein Lehrer in Queens, war mütterlicherseits irischer Abstammung, was man ihm deutlich ansah. Im positiven Sinn. Plötzlich sah ich Mike vor mir, mit seinen roten Haaren, den leuchtend grünen Augen und den im Lauf der Jahre blasser gewordenen Sommersprossen. Mike hatte amerikanisches Englisch gesprochen, doch nach einigen Gläsern Guinness war der irische Akzent durchgeschlagen, und ich hatte Schwierigkeiten gehabt, ihn zu verstehen.
«Ich verspreche, mit dir nach Korsika zu reisen, sobald wir beide Zeit haben. Es ist wunderschön dort. Danke, es hat sehr gut geschmeckt.» David wechselte zum Englischen über, als die Wirtin die Teller abtrug. «Möchtest du einen Nachtisch?»
Das Dessert, auf das ich Lust hatte, gab es weder an der Kuchentheke noch im Gefrierschrank. Aber um David Gesellschaft zu leisten, bestellte ich ein Eis, das sich als einfaches Hörnchen entpuppte. David hatte sein Handy ausgeschaltet, und ich kannte seinen Pin-Code nicht. Dabei hätte ich gern gewusst, von welchem Anschluss die SMS gekommen war. Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass mein Spionageversuch im Sand verlief. Bisher hatte ich nur herausgefunden, dass an David Stahls Potenz nichts auszusetzen war.
Blitzsaubere Saunagänger kamen herein und bestellten Drinks. Sie steckten offenbar mitten in einer energiepolitischen Debatte. Ein Mann, dem die glänzenden roten Haare fast bis zum Po reichten, behauptete mit lauter Stimme, die Pläne für das siebte finnische Atomkraftwerk lägen bereits in der Schublade und die Grünen seien nur noch willenlose Handlanger der Regierung. Ich selbst hatte keine Meinung zur Kernkraft, aber Onkel Jari hatte sie kategorisch abgelehnt.
David beugte sich vor, küsste mich und schlug vor, das Restaurant zu verlassen. Wir schlenderten zu einem verlassenen Tanzboden am Felshang, um die Sterne zu betrachten. Als wir wieder ins Hotelzimmer kamen, rissen wir uns die Kleider vom Leib und trieben es so wild, dass wir fast aus dem Bett fielen.
«Wohin fährst du denn morgen?», keuchte ich. Ein kläglicher Versuch, wenigstens ein bisschen zu erfahren.
«Das kann ich dir nicht sagen. Meine Kunden vertrauen mir nicht, wenn ich etwas ausplaudere. Du weißt schon, Hilja …» Mehr sagte David nicht, er sprach nur, wenn wir uns nicht liebten, beim Sex waren Worte überflüssig, stöhnen und schreien genügte. Er verschloss mir den Mund mit einem Kuss und gab meine Lippen erst wieder frei, als er kam. Wenn man die Reaktion auf alberne Liebesfilme nicht mitzählte, hatte ich noch nie in meinem Leben vor Freude geweint, doch nun war ich den Tränen nahe. Es war mir fast peinlich.
«Möchtest du ein Märchen hören?», fragte David.
«Ein Märchen?»
«Genau. Darin kommen ein Prinz und eine Prinzessin vor, wie in den meisten Märchen. Sie sind nicht mehr ganz jung, die Könige und Königinnen können sie nicht zwingen, zu heiraten oder Frösche zu küssen. Die Prinzessin ist schön, der Prinz weniger, er ist vierschrötig und glatzköpfig. Aber weil sie Prinz und Prinzessin sind, sind sie füreinander geschaffen. Der Prinz weiß, dass die Prinzessin sehr wohl imstande ist, ganz allein Drachen zu bezwingen, doch er will sie beschützen. So sind Prinzen nun einmal.» David unterbrach sich und legte den Kopf auf meine Brust. Auf dem Gang ertönte Gelächter, Türen fielen zu, jemand wünschte eine gute Nacht. Als David den Kopf hob und weitererzählte, sah ich, dass seine Wangen feucht glänzten.
«Der Prinz muss Kämpfe ausfechten, so ist es bei Prinzen immer. Sie müssen drei Aufgaben erfüllen, drei Proben bestehen, bevor sie ihre Prinzessin bekommen. Unser Prinz weiß, dass die Prinzessin nicht im gläsernen Berg auf ihn warten, sondern ihn befreien möchte, so wie manche Prinzessinnen ihre in Raben verwandelten Brüder oder ihre von der Schneekönigin verzauberten Gefährten erlösen. Der Prinz muss seinen Kampf allein führen, zumindest vorläufig. Aber wenn er die
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