Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Brocken wie der Alte.“
Das glaubte Herr Schweitzer gerne. Selbst Leuten wie ihm, die nicht täglich die Presse studierten, war bekannt, mit welch eiserner Hand die Lebensmittelgruppe Heidenbrück geführte wurde. Immer wieder fabrizierte sie Schlagzeilen. Mal war es ein Betriebsrat, den zu gründen ein schier aussichtsloses Unterfangen darstellte. Mal umetikettierte Verfallsdaten hochsensibler Nahrungsmittel, und letztens, das dürfte kaum ein halbes Jahr her sein, erinnerte sich Herr Schweitzer, jawohl, er erinnerte sich, ein mit EU-Geldern subventioniertes Auslieferungslager im Osten der Republik. Woraufhin Heidenbrück Junior das alte bei Fulda, kurz jenseits der ehemaligen Demarkationslinie, dichtgemacht und Hunderte von Arbeitsplätzen wegrationalisiert hatte. Pervers, dachte Herr Schweitzer voller Wut im Bauch, und das alles mit unseren Steuergeldern. Doch was reg ich mich da überhaupt noch auf, dachte Herr Schweitzer, auf mich hört doch eh niemand.
„Hallo, bist du noch da?“
„Ja, ja. Hab nur gerade über die Skandälchen von Heidenbrück nachgedacht. Warum genau hast du die Sache damals aufgegeben?“
„Druck von oben, was sonst? Damals war ich noch freier Journalist. Und da der alte Heidenbrück ja auch noch mit seinem fetten Arsch im Landtag saß, hatte er natürlich einflußreiche Freunde. Keine Zeitung wollte etwas von meinen Recherchen wissen, wohl wegen der zu erwartenden Anzeigeneinbußen. Dabei haben nur noch wenige Glieder gefehlt, und ich hätte diesen Heidenbrück am Schlafittchen gehabt. Der war maßgeblich an den Judendeportationen hier in Frankfurt beteiligt, davon bin ich noch heute überzeugt. Doch wie von Geisterhand waren alle Dokumente von damals angeblich bei der Bombardierung den Flammen zum Opfer gefallen. Komischerweise aber nur diejenigen, die ihn selbst betrafen.
„Capito. Aber warum hast du das später, als dir das Käsblättche gehörte, nicht weiterverfolgt?“
„Mann, Simon, du machst dir ja keine Vorstellungen davon, auf was für einem schmalen Grat ich hier wandle. Für mich fällt schon Weihnachten und Ostern zusammen, wenn der Pizza-Luigi eine Viertelseite Werbung kauft. Eine Unterlassungsklage, und ich stehe vor einem Scherbenhaufen. Und Unterlassungsklagen sind bei uns mal dermaßen leicht durchzuboxen, daß man glauben könnte, die Mafia regiert das Land.“ Und abschließend: „Tja, man arrangiert sich halt, so gut es geht.“
Irgendwo tat ihm dieser Melibocus leid. Aber so ergeht es wahrscheinlich allen Journalisten hierzulande, gestartet mit einem Koffer voll Enthusiasmus, von der Realität ernüchtert, und schließlich, der journalistische Super-GAU, gelandet bei Blöd oder der Königshäuserjournaille. Wie dieser Wundermann. Dann schon lieber beim Sachsehäuser Käsblättche und über Kirchenbasare berichten. „Was ist dein Lieblingsbier?“
„Jever.“
„Bis gleich.“
Im Getränkemarkt gegenüber erstand Herr Schweitzer einen Kasten dieses friesischen Gebräus. Und eine Flasche Mariacron. Die Ladung balancierte er auf dem Gepäckträger seines Drahtesels.
Der Mittagsschlaf – in hoc salus. Und außerdem gab er Herrn Schweitzer wieder Auftrieb. Nach seinem Besuch in den Büroräumen des Sachsehäuser Käsblättches hatte er so manche Information zu verarbeiten gehabt. Und das hatte Kraft gekostet.
Derart optimal gestärkt und sich noch die Augen reibend betrat er die Küche, wo die Mädels, das war schon von seinem Zimmer aus zu vernehmen, eine engagierte Debatte führten, die jedoch mit seinem Erscheinen augenblicklich verstummte.
„Habt ihr über mich geredet? Doch hoffentlich nur Gutes.“
„Oh, Simon. Du?“ war Laura ganz erstaunt. „Ich dachte, du bist bei Maria oben.“
„War ich auch. Ist aber schon ein Weilchen her. Ich habe eine Menge herausgefunden.“
Und so schilderte er in knappen Worten, in der Küche auf- und abtigernd, was er von Melibocus erfahren hatte. Daß er, Herr Schweitzer, ein ganz beträchtlicher Hohlkopp sei, die Namen stünden schon die ganze Zeit auf der Rückseite des Fotos, und wenn er sich nur ein ganz klein bißchen wie ein ausgebuffter Detektiv verhalten hätte, dann wäre das zumindest schon mal geklärt gewesen. Dann fügte er noch hinzu, es sei durchaus denkbar, in der Causa Heidenbrück, das sei der mittige Herr, in ein Wespennest gestoßen zu sein, weil dieser nämlich im Verdacht stünde, auch wenn es keine oder kaum Beweise gäbe, einer der Hauptverantwortlichen der hiesigen Deportationen zu
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