Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Gut geschlafen?“ begrüßte ihn Esther.
„Nicht annähernd so viel wie ihr.“
Esther errötete, als sei ein harmloses Clubbing so verwerflich wie sadomasochistischer Gruppensex. Ach herrje, dachte Herr Schweitzer, ist die vielleicht goldig.
Von Laura bekam er eine Lupe in die Hand gedrückt. Umständlich gesellte er sich zu ihnen. Für einen Schneidersitz, wie ihn die Mädels praktizierten, fühlte er sich heute zu steif.
Er studierte das Straßenschild. Dann hielt er die Lupe über die Aufschrift. Bis auf den Mittelteil, der anscheinend mit einem Flicken ausgebessert worden war, konnte er den verblaßten Schriftzug nun entziffern.
Möbe auer
. „Möbelbauer“, las Herr Schweitzer laut vor, den verdeckten Teil erahnend. „Wie die früher doch geredet haben. Möbelfabrikant würde man wohl heute dazu sagen.“
„Das könnte der Laster von meinem Opa gewesen sein. Ich bin mir fast sicher, daß der linke mein Opa ist. Aber wie kommt er dazu, sich so eine doofe Uniform anzuziehen?“
„Vielleicht zur Tarnung. Er wäre nicht der einzige Jude, der so dem Holocaust entkommen ist.“
„Glaubst du wirklich?“
„Möglich ist alles.“
„Aber wer ist dann der Herr auf dem anderen Bild, der mit meiner Oma und meiner Mutter als Kleinkind auf den Knien?“
„Vielleicht ein Verwandter oder ein Freund der Familie. Warum fragst du deine Großeltern nicht selbst? Die leben doch noch.“
Hilfesuchend spähte Esther zu ihrer Freundin. „Laura meint …“
„Ich meine, daß da bedeutend mehr dahintersteckt, Simon. Wenn du dich erinnerst, Esther hat gestern erzählt, wie ihre Großtante getobt hat, als Esther mit dem Wunsch kam, nach Israel zu ihren Großeltern zu ziehen. Und um genau dieses zu verhindern, hat sie ihr liebgewonnenes Leben in Amerika aufgegeben, obwohl Esther in der familiären Bande den Großeltern näherstand. Kannst du mir das erklären? Das ist doch nicht normal.“
Nein, konnte er nicht. „Nein, kann ich nicht.“
Triumphierend und spielerisch herausfordernd: „Siehst du. Ich sag dir, da ist was faul. Oberfaul sogar.“
Esther wand sich, als sei ihr die Geschichte zunehmend unangenehmer. „Vielleicht hat Laura ja recht.“
„Genau, und weiter im Text: Jetzt stell dir bloß mal vor, Esther fragt ihren Opa. Vielleicht hat der als Nazi verkleidet ja selbst ein paar Juden auf dem Gewissen.“
Esther stand kurz vor einem Tränenausbruch.
Herr Schweitzer sogleich: „He, he, he.“
Laura hob die Hände. „Entschuldigung. Ich meine doch nur, theoretisch. Kann natürlich alles auch etwas ganz anderes bedeuten.“
Aber sie hat ja nicht mal so unrecht, die Laura, überlegte Herr Schweitzer, etwas ist hier faul. Fragt sich nur, ob Esther mit der Wahrheit umgehen konnte, wie immer die auch aussah. Sein erster Gedanke war, die beiden zu fragen, ob sie ihn morgen ins Jüdische Museum begleiten wollten. Angesichts Esthers zarten Gemütes war das aber keine so gute Idee. „Ich treffe mich morgen mit jemanden, der mehr von derartigen Dingen versteht. Ein Profi, wenn ihr so wollt.“
„Oh ja, da kommen wir mit“, rief Laura begeistert.
„Geht leider nicht, ist ein Geheimtreffen.“
„Geheim?“ fragte Esther und staunte mit offenem Mund.
„Genau, streng geheim sogar“, weidete Herr Schweitzer sich ein klein wenig an seiner geheimnisumwitterten Aura. Der Detektiv war schließlich er, auch wenn er einräumen mußte, auf den Aspekt von Großtantes Tobsuchtsanfall wäre er so schnell nicht gekommen. „Die Fotos bräuchte ich natürlich.“
Esther: „Na klar. Hier.“
So, jetzt mußte er sich aber sputen. Immerhin hatte er seiner Liebsten zum Abendessen einen Salat mit allen nur erdenklichen Zutaten versprochen. Sogar in Öl eingelegte Artischocken aus der Region Latium hatte er besorgt.
Herr Lampert sei für ein paar Tage verreist, erst am Montag werde er zurückerwartet, hieß es beim Jüdischen Museum, als er anderntags dort anrief.
Das war kein guter Start in den Tag, dachte Herr Schweitzer enttäuscht, der obendrein, wie gestern schon, für seine Verhältnisse viel zu früh aufgewacht war. Doch diesmal konnte er sich noch klar und deutlich an seinen letzten Traum erinnern, was ihm sehr selten passierte. Viel war es aber nicht, was hängengeblieben war. Nur, daß es etwas mit der Person mit dem markant länglichen Gesicht, diejenige, die linkerhand von Joshua Silbermann auf unergründliche Art in die Kamera lächelte, zu tun hatte. Ihm war, als könnte er sich sogar noch deutlich
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