Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
sein. Außerdem läge die Vermutung nahe, Esthers Opa könne durch eine geschickte Tarnung dem KZ und somit einem mehr als wahrscheinlichem Tode entgangen sein.
„Aber mein Opa hat eine tätowierte KZ-Nummer“, sagte Esther perplex.
Herr Schweitzer zog die Augenbrauen hoch. Auch Laura schaute überrascht zu ihrer Freundin.
Die allgemeine Stille veranlaßte eine sichtbar eingeschüchterte Esther zu den Worten: „Ich ... ich dachte, ihr wüßtet das.“ Betroffen blickte sie auf ihre Füße.
Doch Herr Schweitzer zeigte sich kombinationssicher: „Dann ist er doch noch aufgeflogen und hat wie durch ein Wunder das Konzentrationslager überlebt. Das hat’s bei der Befreiung durch die Alliierten durchaus gegeben. Hast du ihn nie danach gefragt?“
„Doch, doch. Zwei oder drei Mal. Aber Oma hat immer gesagt, Opa möchte diese Dinge vergessen, nicht mehr daran erinnert werden, alles sei zu grausam gewesen. Das konnte ich nachvollziehen, und ich habe nicht weiter nachgebohrt. Für mich war es natürlich frustrierend, weil ich mich damals sehr für meine Familiengeschichte interessiert habe. Und weil ja auch meine Eltern zu einem Zeitpunkt ums Leben gekommen sind, als ich noch zu klein für die Wahrheit war. Und Tante Rahel hat sich dem Thema auch immer verweigert, sobald die Sprache auf Opa kam.“
„Hat dich das nicht stutzig werden lassen?“ insistierte Herr Schweitzer. „Ich meine, es ist eine Sache, wenn sich direkt Betroffene für’s Verdrängen entschieden haben, das kann ich sogar nachvollziehen. Aber deine Großtante, die hatte doch Abstand und war rechtzeitig nach Amerika geflüchtet.“
„Ja, merkwürdig fand ich das auch. Aber, was sollte ich machen? Ich konnte sie ja schlecht zwingen. Außerdem war sie immer so gut zu mir.“
Aber da war noch etwas. Herr Schweitzer versuchte so behutsam als möglich zu formulieren: „Dann müßte deine Oma ja auch im KZ gewesen sein.“
„Ich hab sie natürlich gefragt, warum sie denn keine Nummer hat. Glück gehabt, war alles, was sie mir antwortete. Immer nur: Glück gehabt. Ich glaube, Oma wollte einfach nur einen Schlußstrich ziehen, sich ganz und gar auf das neue Leben in Israel konzentrieren. Das muß damals auch ganz schön anstrengend gewesen sein. Der ganze Neuanfang mit so gut wie nichts in den Taschen. Man kann sich das wohl heute gar nicht mehr vorstellen. Israel war ja fast nur unwirtliches Wüstengebiet.“
Mannohmann, dachte Herr Schweitzer, der Fall wird ja immer verzwickter. Bis jetzt hatte er die einzelnen Puzzleteile ja noch halbwegs stringent aneinanderreihen können, aber die Tatsache der fehlenden KZ-Nummer bei Miriam Silbermann sprengte seine kombinatorischen Fähigkeiten. Es sei denn, Joshuas Frau wäre es gelungen, in Frankfurt unterzutauchen. Aber alles in allem wären es der Zufälle zu viele gewesen. Erst die verschwundenen Dokumente um Claude Heidenbrück Senior, dann Joshuas Überleben im Todeslager. Und dann auch noch Miriams Glück, in einer durch und durch feindlich gesinnten Umgebung nicht entdeckt zu werden. Mehr denn je verspürte Herr Schweitzer den Impetus einer aufklärerischen Intervention seinerseits. Große Hoffnung legte er dabei auf seinen Besuch im Jüdischen Museum. „Ach herrje, hätte ich fast vergessen, den Kerl, der mir vielleicht mehr Einblick verschaffen kann, treffe ich erst am Montag.“
Laura: „Ich dachte, das wäre dieser Melibocus gewesen.“
„Nein, ein anderer. Aber wie gesagt, leider erst nächste Woche.“
„Ach wie schade. Dann ist Esther ja gar nicht mehr da.“
„Wieso? Fährst du nach Berlin zurück?“ Herrn Schweitzer war die Enttäuschung anzumerken.
„Nein, aber nach Amerika.“ Ihre Augen strahlten vor Glückseligkeit. „Morgen früh geht’s los. Muß leider in London umsteigen. War nichts anderes mehr frei.“
„Zum Hexenhäuschen, stimmt’s“
„Ja, und ich freue mich riesig. Das Häuschen gehört jetzt mir.“
Herr Schweitzer war versucht zu sagen, daß er mit Maria sie dann ja mal besuchen könne. Das ging aber nicht, wie ihm im selben Moment gewahr wurde, denn dazu hätte er ja ein Flugzeug besteigen müssen. Und die stürzen gewöhnlich aus den unterschiedlichsten Gründen permanent vom Himmel, da braucht man bloß die Nachrichten einzuschalten. „Wie lange bleibst du?“
„Weiß ich noch nicht. Ich bin mir noch nicht mal klar darüber, ob ich mir’s überhaupt leisten kann, das Häuschen zu behalten. Obwohl, schön wär’s.“
Daraufhin rief Herr Schweitzer
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