Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Titel: Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
Vom Netzwerk:
geflogen. Ein Lausbubengesicht preßte sich an den verrosteten Maschendraht. Da er sich so weit zu werfen nicht zutraute, ging Herr Schweitzer näher heran und kickte den Ball zurück. Des Buben Blick ließ nicht von ihm ab. Er schätzte ihn auf unter fünf. Da ihm nichts Besseres einfiel, sprach er das einzige israelische Wort, das er zu kennen glaubte: „Shalom.“
    „Shalom“, erwiderte der Knirps, und Herr Schweitzer freute sich, weil ihm das Parlieren in fremden Sprachen so leicht von der Hand ging. „Shalom, Shalom“, brummelte er beim Weggehen mehrmals vor sich hin, auf daß es endgültig Einlaß in sein israelisch-deutsches Fremdsprachenlexikon finde, das bislang nur weiße Seiten aufwies.
    Gleich an der ersten Ecke des Blocks lächelte ihn vor einem Videoverleih eine Parkbank an. Daß an mehreren Latten die Enden abgebrochen waren, tat seiner Freude keinen Abbruch. Hier würde er so lange verharren, bis er genug Mut aufbrachte, an der fremden Tür zu klingeln.
    Als erstes machte er sich Gedanken darüber, warum er sich so unsicher fühlte. In Frankfurt war ihm alles noch so einfach erschienen. Alle möglichen Variationen waren durchgespielt, auch wenn ihn das Leben gelehrt hatte, daß es oft anders kam, als man dachte.
    Nachdem er so eine Weile in sich gegangen war, kristallisierte sich ein Aspekt heraus, der ihm vertraut war. Wurde ihm in Deutschland jemand als Jude vorgestellt, so wählte er seine Worte sorgfältiger, um jedwedes Fettnäpfchen zu vermeiden. Das führte natürlich zu Verkrampfungen auf der einen wie der anderen Seite, der das Abwägen der Worte auf der Goldwaage natürlich auch nicht verborgen geblieben war. Doch sich davon befreien, das war schier unmöglich. Das erging fast jedem seiner Generation so.
    In Anbetracht der Sachlage wartete Herr Schweitzer auf einen Anflug von Fatalismus, der es ihm erleichterte, seine Befragung auch auf die Gefahr hin durchzuführen, als Nazi-Schwein beschimpft und einfach vor die Tür gesetzt zu werden. Vorausgesetzt, er kam überhaupt durch die Tür.
    Der Fatalismus ließ nicht lange auf sich warten. Daß es jedoch so ausgeprägt fatalistisch werden könnte, erstaunte selbst einen Herrn Schweitzer. Ein Nordic Walker drehte seine Runden. Hier. In Israel. An der Kippe zu Afrika. Nein. Und nochmals nein.
    Da der erste seinen Ursprung nur im Delirium haben konnte, riskierte er einen zweiten Blick. Was heißt Psychiatrie eigentlich auf Hebräisch? Und es war nicht nur ein Nordic Walker, wie sie in unseren Breiten ihr Unwesen treiben, dieses Exemplar war auch noch in ein einteiliges, buntscheckiges Radlertrikot gezwängt, das dermaßen eng ansaß, daß der Gegenwind, der momentan aber außer Betrieb war, keine Chance haben würde.
    Okay, sagte sich Herr Schweitzer, was soll mir denn jetzt noch passieren? Ein Schlag in die Fresse – na und? Ein Schuß in die Herzgegend – und weiter? Der Mensch steht sowieso kurz vor der Ausrottung. Eins, zwei Generationen noch, wenn’s hochkommt, dann werden intelligente Kreaturen wie Orang Utans, Schimpansen oder Esel die Weltherrschaft an sich reißen. Und das ist auch gut so, entschied er, stand auf und schlug sich den Staub aus der Hose. Der Nordic Walker wirbelte ihn wieder auf.
    In seiner Phantasie war es stets Miriam gewesen, die ihm öffnete. Nur an sie waren alle möglichen Begrüßungsformeln gerichtet. So war Herr Schweitzer sichtlich überrascht, als nach endlosen Minuten ein gebrechlicher Greis ans Tor geschlurft kam, der mit den Fotos nicht die geringste Ähnlichkeit aufwies. Lediglich die Tätowierung auf der eingefallenen und mit Altersflecken übersäten Haut legte die Vermutung nahe, von einem ehemaligen KZ-Häftling empfangen zu werden.
    Fast zwei Meter vor dem hellblauen Tor, dessen obere Hälfte mit Gitterstäben versehen war, blieb der Alte stehen und machte keinerlei Anstalten näherzutreten, als ginge von dem Unbekannten eine ansteckende Krankheit aus. Mit müden Augen musterte er Herrn Schweitzer.
    Und da der Fremde auch nichts zu sagen wußte, dehnten sich die Sekunden bis zur Unerträglichkeit. Schon sorgte sich Herr Schweitzer, der Alte sage deswegen nichts, weil er sich seiner falschen Identität beraubt sah, als er doch noch den Mund öffnete: „Was wollen Sie?“
    Deutsch. Der Mann sprach deutsch mit ihm. Herr Schweitzer sah an sich herunter und suchte an seiner weißen Leinenhose, die er der Seriosität wegen der Khaki-Uniform vorgezogen hatte, ein schwarzrotgoldenes Banner, das vom

Weitere Kostenlose Bücher