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Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Titel: Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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Hanau oder Offenbach vielleicht.“
    Herr Schweitzer versuchte, diesen Brocken zu schlucken. Das war voll die Härte, noch nie in seinem Leben hatte jemand etwas so Ungeheuerliches zu ihm gesagt. Offenbach! Er konnte es kaum glauben. Offenbacher gelten als die Ostfriesen des Rhein-Main-Gebiets. Tausende von Witzen kursierten über diesen Menschenschlag. Nummernschild: OF – O hne F ührerschein, O hne F erstand. Da bot sich ihm endlich die Möglichkeit, in der Angelegenheit, wegen der er überhaupt hier in Israel war, voranzukommen, und dann so etwas. Herr Schweitzer pumpte Sauerstoff in sein Blut. Vielleicht meinte Frau Silbermann das ja auch anders. Vielleicht war Offenbach früher ja gar nicht so … so … – er suchte einen passenden Begriff und fand ihn: unbewohnbar. Heutzutage jedenfalls legten selbst Bewohner des Landkreises Offenbach Wert darauf, Bewohner des Landkreises, und keinesfalls aus Offenbach zu sein.
    Derweil Herr Schweitzer noch in die Offenbachproblematik involviert war, fuhr Frau Silbermann fort: „Sind Sie den weiten Weg aus Deutschland gekommen, nur um mich anzustarren?“
    „Nein, natürlich nicht“, erwiderte er und mußte zugeben, daß er von ihrem Anblick tatsächlich fasziniert war. Die Dame war fast neunzig, ihr kurzes, zu einem Pony geschnittenes Haar durch und durch grau, und doch strahlte sie eine Jugendlichkeit aus, als läge noch eine Menge Leben vor ihr. Winzige Lachfältchen zeugten von immenser Lebensfreude. Ihre sonnengebräunte Haut machte die Tatsache vergessen, einen Weltkrieg und mehrere kaum weniger nervenaufreibende Nahostkonflikte überlebt zu haben. „Ich … ich komme aus Frankfurt. Simon Schweitzer. Äh, so heiße ich.“ Mit seinem Gestammel war er eindeutig nicht Herr der Situation.
    „Schön. Und was treibt Sie her?“ Frau Silbermann stellte ihre Einkaufstaschen auf den Boden.
    Nicht nur das Wetter setzte Herrn Schweitzer gehörig zu, auch ein schier überwältigendes Verlangen nach Flüssigkeit lähmte seinen Denkapparat. „Esther, Ihre Enkelin …“
    Hochgezogene Augenbrauen forderten ihn zum Weitersprechen auf.
    „Ich meine …“ Ja, was meinte er eigentlich?
    „Ist Ihnen nicht gut?“
    „Doch, doch.“
    „Sind Sie ein Freund von Esther?“
    Herr Schweitzer kam sich wie ein beim Spicken ertappter Schulbub vor, der vor versammelter Klasse seiner Bestrafung entgegensah. Verzweifelt suchte er nach einem Weg, wenigstens die Oberhand über sich selbst zurückzugewinnen. „Jein.“
    „Jein?“
    „Na ja, ich wohne in Frankfurt …“
    „Das sagten Sie bereits.“
    „Bei mir wohnt Laura. Ich meine Laura Roth. Das ist meine Untermieterin. Oder Mitbewohnerin. Je nachdem. Und die wiederum hat eine Freundin. Das ist Esther. Die war letztens da. Aus Berlin. Und ihre Tante, nein, Großtante Rahel, Ihre Schwester also, ist doch gestorben, kürzlich, mein Beileid übrigens …“
    „Danke.“ Frau Silbermann war sichtlich amüsiert über diesen seltsamen Herrn, der sich da radebrechend abmühte, seine Gedanken zu ordnen. „Die Beziehung zwischen Rahel und mir war nicht unbedingt von großer Herzlichkeit geprägt.“
    „Ach so.“ Herr Schweitzer sehnte sich nach den Annehmlichkeiten einer Irrenanstalt, nach der dortigen Erwartungslosigkeit des Pflegepersonals bezüglich der Insassen. „Es ist gerade sehr schwer für mich. Ich möchte Esther nicht enttäuschen. Sie ist so rein, verstehen Sie? Und wo doch Rahel gerade …“
    „Guter Mann. Warum sagen Sie nicht einfach rundheraus, daß Sie in Esther verknallt sind und sie damit beeindrucken wollen, indem Sie herausfinden, wer ihr Opa in Wirklichkeit ist?“
    Peng.
    Der Nachhall ihrer Worte glich einem Atombombeneinschlag, und die Welt außerhalb des Epizentrums hielt den Atem an. Das Bild, das sich Herr Schweitzer von Miriam Silbermann zurechtgelegt hatte, zerstob in tausend Scherben. Vor ihm stand keine vergreiste, von Altersgebrechen gezeichnete, ihrem Tod entgegensiechende fast Neunzigjährige, sondern eine Dame, deren Geistesschärfe ihn nicht nur fast umhaute, nein, vor ihm stand eine vor Selbstbewußtsein strotzende Frau, an die selbst das Amt eines Kofi Annan nicht die geringsten Anforderungen gestellt hätte. So kam es ihm, Herrn Schweitzer, augenblicklich zumindest vor. Das konnte aber auch damit zusammenhängen, daß seine eigene Wenigkeit gerade auf einer spiegelglatten Eisfläche einem Meer von Tellerminen entgegenschlitterte. Herr Schweitzer schloß die Augen und wartete auf die finale

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