Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Detonation. Die kam auch.
Als er wieder zu sich kam und abermals das Weltenlicht erblinzelte, schmeckten seine Lippen eine Flüssigkeit, die er bis dato in witzigen Kneipengesprächen allenfalls als bittere Notwendigkeit zur Bierherstellung katalogisiert hatte. Wasser.
„Trinken Sie.“
Eine überflüssige Aufforderung. Das frische, kristallklare Naß spülte seine pelzige Zunge hinfort. Herr Schweitzer wünschte sich einen Wildbach herbei, der wie ein Blitzschlag seinen maroden Körper durchströmte. „Mehr.“
Nach dem dritten Glas fühlte er sich wohler. Sein Kopf war auf etwas Hartes gebettet, aber der Straßenstaub unter seinem Körper fühlte sich an wie ein Traum aus Satin. Er lag in der Gosse. Und Frau Silbermann redete mit einem jungen Mann, über dessen Gürtel eine Maschinenpistole sachte hin und her schwang. In klaren aber unverständlichen Worten unterhielt sie sich mit ihm. Wollte sie gerade seine Verhaftung und Verweisung des Landes veranlassen? Nur weil er in Esther verknallt war, wie sie sich ausdrückte. War er, Herr Schweitzer, denn überhaupt in Esther verknallt? Eine Frage, die zum jetzigen Zeitpunkt zu beantworten der Situation nicht gerecht wurde, hier ging es schließlich um die Vermeidung diplomatischer Verstrickungen. Er bäumte sich auf: „Mir geht’s doch schon wieder gut.“ Und explizit an den Soldaten gewandt: „I feel very, very good. My head is very, very clear now. I’m only a simple tourist.“
Als wären Herrn Schweitzers Worte ausschlaggebend, grinste der Landesverteidiger, stieg in ein Gefährt, das aussah wie ein Kleinpanzer, und in dem eine ebenfalls lächelnde Kameradin auf ihn wartete. Mit einer ohrenbetäubenden Fehlzündung startete er das Kriegsgerät.
„Sie hätten mehr trinken müssen. Daß ihr Mitteleuropäer das immer vergeßt. Bestimmt haben Sie gestern gesumpft und heute morgen nur Kaffee zum Frühstück getrunken.“
Bis auf den kleinen Orangensaft zum Käsecroissant hatte Frau Silbermann ins Schwarze getroffen. „Ich weiß. Aber ich war so aufgeregt.“ Herr Schweitzer hatte Vertrauen zu der Dame gefaßt, die ihm in so vielen Dingen weit voraus zu sein schien.
„Wohnen Sie im Hotel?“
„Ja, im Sheraton.“
„Und Sie möchten etwas über Esthers Opa in Erfahrung bringen, stimmt’s?“ Ihr Blick glitt über ihn hinweg.
„Ja, das ist richtig. Ich finde, Esther hat ein Recht darauf. Jeder hat ein Recht darauf zu erfahren, wer seine Eltern sind, oder, wie in Ihrem Fall, die Großeltern. Hat Ihre Tochter Petra Sie nie danach gefragt?“
„Nein, hat sie nicht. Hören Sie, in zehn Minuten kommt ein Taxi und bringt meinen Mann und mich in die Stadt. Wenn Sie möchten, können Sie mitfahren. Seien Sie morgen abend im Hotel. Wenn ich nicht komme, dann habe ich meine Gründe.“
„Und wenn Sie kommen?“
„Dann überlege ich mir noch, wieviel ich Sie wissen lasse. Doch eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen, es ist nicht so, wie Sie glauben. Die Geschichte ist viel zu komplex, als daß sie jemand nachvollziehen kann, einschließlich mir. Aber nun kommen Sie, stehen Sie auf, oder wollen Sie Ihr Leben im Rinnstein verbringen? Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Miriam Silbermann streckte ihm ihre rechte Hand entgegen. Mit der anderen führte sie Herrn Schweitzer am Oberarm. Als er stand, entfernte sie mit ein paar kräftigen Schlägen den Straßenschmutz.
„Was haben Sie dem Soldaten gesagt?“
„Nichts. Nur daß Sie auf Besuch sind und Ihnen das Klima noch nicht bekommt. Das ist ja ganz offensichtlich auch die Wahrheit.“
„Ja. Ich muß aufpassen, daß ich mehr trinke.“
„Das müssen Sie. Es wäre doch schade um einen so kräftigen, jungen Burschen.“
Herr Schweitzer saß auf der weiträumigen Terrasse und ließ seinen Blick übers Meer und die hübschen Mädels in ihren knappen Bikinis schweifen. Lieblich brachen sich die Sonnenstrahlen in den Eiswürfeln seines inzwischen vierten Caipirinhas. Tollkühne Kerle vergnügten sich beim Wasserski. Ganze Familien mit Sonnenschirmen und Kühlboxen schwatzten zwischen herumtollenden Kindern und genossen den paradiesischen Tag, denn bald würde auch hier der Winter Einzug halten und dem Strandleben ein Ende bereiten. Entgegen ihrer Ankündigung, es würde nicht sehr lange dauern, war Maria von der Heide noch beim Shoppen. Herr Schweitzer nahm es gelassen. Er wußte, wie Schaufenster auf weibliche Armbanduhren wirkten. Außerdem hatte er so ein wenig Zeit für sich und konnte über die
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