Die Leiche im rosa Nachthemd
Die Adresse hat Mrs. Cool. Auf keinen Fall darf
jemand erfahren, wo oder wer ich bin. Das wäre — das wäre einfach
katastrophal.«
»Das ist mir klar.«
»Sie sollten sich nicht länger in
Santa Carlotta aufhalten und mit niemandem hier sprechen. Man darf Sie auch
nicht in der Nähe meiner Praxis sehen.«
»Wir werden schon dichthalten.
Aber Sie sollten auch vorsichtig sein. Lassen Sie zum Beispiel unsere Berichte
nicht in falsche Hände fallen.«
»Dafür ist gesorgt«,
versicherte er.
»Diese Evaline Harris kennen
Sie also nicht?«
»Natürlich nicht.«
»Einfach wird es nicht werden«,
meinte ich. »Die Spur ist inzwischen wieder kalt.«
»Das ist mir klar. Es ist meine
Schuld. Die Furcht, daß jemand versuchen könnte, mich über meine Zulassung bei
der Ärztekammer aufzuspüren, begleitet mich seit zwanzig Jahren. Sie haben es
geschickt angefangen. Fast ein bißchen zu geschickt für meinen Geschmack...«
»Noch eins«, sagte ich. »Wer
wäre daran interessiert, mir wegen meines Auftrages zu einem blauen Auge zu
verhelfen?«
»Was meinen Sie?«
»Ich meine einen Mann, der etwa
einsachtzig groß ist und ungefähr zwei Zentner wiegt. Ein Kerl wie ein
Kleiderschrank, dunkle Haare, graue Augen, Ende Dreißig oder Anfang Vierzig,
Muttermal auf der Wange und eine Faust wie ein Schmiedehammer.«
Dr. Alfmont schüttelte den
Kopf. »Kenne ich nicht.« Aber er sah mich nicht dabei an.
»Er hat mich in meinem
Hotelzimmer in Oakview in Empfang genommen«, fuhr ich fort, »und war
genauestens über mich im Bilde.«
»Was wollte er?«
»Daß ich die Stadt verlasse.«
»Und wie haben Sie reagiert?«
»Leider damit, daß ich nach der
Polizei rief. Als ich wieder zu mir kam, war ich nicht mehr in Oakview.«
Seine Lippen zuckten. Und erst
beim zweiten Anlauf brachte er heraus: »Da muß sich jemand geirrt haben...«
»Sehr richtig. Ich!«
»Sie dürfen niemandem verraten,
was Sie ermitteln oder für wen Sie arbeiten«, beschwor er mich. »Das ist
wesentlich.«
»Hm«, meinte ich. »Dann weiß
ich jedenfalls Bescheid.«
In seinen Augen stand jetzt
Angst. Die Sprechstundenhilfe starrte mich neugierig an, als ich ging. Ich
hätte zehn zu eins gewettet, daß sie nicht Vivian Carter hieß und nie als
Mitschuldige in einem Ehescheidungsprozeß benannt worden war.
Mein Frühstück war lange überfällig.
Santa Carlotta lag auf dem Weg zur Küste. Es war eine Stadt für reiche
Touristen und besaß drei elegante Hotels, ein halbes Dutzend mittlerer
Hotelpensionen und einen Haufen Motels. Die Restaurants waren gut. Ich suchte
mir aufs Geratewohl eins heraus.
Im Fenster hing ein Plakat, und
von dem Plakat starrte mich ein um zehn Jahre verjüngter Dr. Alfmont an. Ich
las die Aufschrift:
»Wählt Dr. Charles L. Alfmont zum Bürgermeister.
Macht Santa Carlotta zu einer
sauberen Stadt.
Jagt die Gauner zum Tempel
heraus. Säuberungsliga Santa Carlotta.«
Ich ging hinein, suchte mir
einen Tisch und führte mir mit Genuß frisch ausgepreßten Orangensaft, eine
Grapefruit und pochierte Eier auf knusprigem Toast zu Gemüte.
Als ich beim Kaffee und einer Zigarette
angelangt war, fragte mich die Kellnerin, ob ich die Zeitungen sehen wollte.
Ich nickte. Sie kam etwas verlegen zurück. »Leider sind die Zeitungen aus Los
Angeles alle unterwegs. Aber wenn Sie mögen, können Sie einmal in die
Lokalzeitung sehen.«
Ich nickte dankend.
Die Lokalzeitung, die Tagespost, machte einen ordentlichen
Eindruck. Gutes Layout, guter Druck, Meldungen aus aller Welt.
Ich wandte mich mit Interesse
dem Leitartikel auf der zweiten Seite zu und las:
»Die Art und Weise, wie der
Kurier die Kandidatur von Dr. Charles Alfmont in den Schmutz zu ziehen sucht,
ist wohl für den unvoreingenommenen Wähler das beste Zeichen dafür, welche
Unruhe die Aufstellung dieses aufrechten Mannes in gewissen Kreisen
hervorgerufen hat.
Seit langem ist es jedem
neutralen Beobachter klar, daß die Gauner und Unterweltler in Santa Carlotta
ohne politischen Rückhalt nie so mächtig hätten werden können. Wir hüten uns,
zum jetzigen Zeitpunkt direkte Anschuldigungen zu erheben, aber der
intelligente Wähler wird gut daran tun, die Taktik der Gegenseite genau zu
beobachten. Wir sehen eine üble Verleumdungskampagne voraus. Man wird immer
wieder versuchen, Dr. Alfmont etwas am Zeug zu flicken, statt sich den
Vorwürfen zu stellen, die er vorgebracht hat. Sollte die Stadt doch keinen
neuen Polizeichef brauchen? Nun, dann sollte sich die
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