Die Leiche im rosa Nachthemd
mich allein lassen.«
»Ich hatte zu tun«, sagte ich.
»Und es eilte. Das nächstemal könntest du die Telegrammgebühren ruhig zahlen.
Es war nämlich wichtig.«
»Aber selbstverständlich,
Donald. Ich gebe zu — ich hatte fürchterliche Laune. Mir war was
schiefgelaufen, das war alles.«
»Hast du dich ans Telefon
gehängt, nur, um mich über deine Launen zu informieren?« wollte ich wissen.
»Nein, mein Kleiner. Aber ich
wollte dir sagen, daß dein Tip richtig war.«
»Welcher?«
»Wegen Dr. Lintig. Ich habe
gerade die Auskunft von der Ärztekammer bekommen. Natürlich mußte ich wieder
mal mit Engelszungen reden, bis ich die Brüder so weit hatte, daß sie
auspackten.«
»Und was hast du festgestellt?«
»1949 hat Dr. Lintig eine Urkunde
eingereicht, aus der hervorging, daß er seinen Namen in Charles Loring Alfmont
geändert hat. Sie haben das in ihren Unterlagen entsprechend vermerkt, und er
praktiziert jetzt in Santa Carlotta als Hals-, Nasen-, Ohrenspezialist und
Augenarzt.«
»Großartig. Aber weshalb rufst
du nun wirklich an?«
Ihre Stimme zerschmolz fast vor
Liebenswürdigkeit. »Ich brauche dich, Donald.«
»Was ist passiert?«
»Eigentlich bist du dran
schuld.«
»Wieso?«
»Wir sind den Fall los.«
»Was soll das heißen?«
»Mr. Smith hat mir per
Einschreiben mitgeteilt, daß er uns ausdrücklich beauftragt habe, Mrs. Lintig
aufzuspüren und nicht, Ermittlungen über Dr. Lintig zu führen. Er sei sehr
ungehalten darüber, daß wir uns nicht an die Anweisungen halten, schreibt er,
und wir sollten die Ermittlungen sofort abbrechen.«
Es entstand eine längere Pause.
Schließlich rief sie: »Hallo, Donald. Bist du noch dran?«
»Ja. Ich denke nach.«
Das durfte nicht kommen. Bertha
ging hoch. »Aber bitte nicht bei einem Ferngespräch auf meine Kosten.«
»Wir sehen uns morgen
irgendwann«, sagte ich und legte auf, mitten in ihre Empörung hinein.
Meine Denkpause dauerte etwa
zwei Zigarettenlängen. Dann griff ich wieder zum Telefon. »Verbinden Sie mich
bitte mit Mrs. Lintigs Zimmer.«
»Tut mir leid, Mr. Lam. Sie ist
abgereist. Sie hat ein Telegramm bekommen und sagte, sie müßte sofort weg.«
»Hat sie eine Nachsende-Adresse
hinterlassen?«
»Nein.«
»Ist sie mit dem Zug gefahren?«
»Nein, sie hat sich einen Wagen
gemietet. Sie sagte, sie wollte sich zum nächsten Flugplatz fahren lassen und
versuchen, eine Maschine zu chartern.«
»Moment«, sagte ich. »Ich komme
herunter. Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.«
Ich warf meine Sachen in den
Koffer und ging zum Empfang. »Ich muß auch abreisen — eine dringende
Angelegenheit. Bitte machen Sie mir sofort die Rechnung fertig. Übrigens — Mrs.
Lintig wollte sich eine Brille nachschicken lassen.«
»Ja«, sagte der Empfangschef.
»Das war ein bedauerlicher Unglücksfall. Das Hotel hat ihr natürlich vollen
Schadensersatz zugesagt — obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob es wirklich
unsere Schuld war.«
»Wenn die Brille kommt«, sagte
ich, »schicken Sie sie bitte an mich.«
Ich kritzelte meine Adresse auf
die Rückseite einer Visitenkarte. »Vielleicht kommt die Sendung per Nachnahme.
In diesem Fall trage ich die Kosten. Ich bin mit Mrs. Lintig verwandt — sie ist
meine Tante. Aber bitte behalten Sie das für sich. Sie ist sehr empfindlich in
dieser Beziehung. Sie stammt nämlich von hier, und es hat eine Scheidung
gegeben — na, Sie wissen schon. Die Brille zahle ich.«
»Sehr gut, Mr. Lam. Das ist
wirklich sehr aufmerksam von Ihnen.«
Ich packte meinen Koffer in die
Firmenkutsche und machte mich auf den Weg nach Santa Carlotta.
4
Es war genau neun Uhr fünf, als
ich die Praxis von Dr. Charles Alfmont betrat. Ein furchteinflößender Drachen
von Sprechstundenhilfe fragte mich nach Namen, Adresse und Beruf. Ich teilte
ihr mit, ich wäre Reisender und hätte starke Beschwerden an den Augen. Die
dunkle Brille, die ich mir zugelegt hatte, verlieh meiner Geschichte
Glaubwürdigkeit. Ich gab ihr einen erfundenen Namen und eine ebenso aus der
Luft gegriffene Adresse.
»Einen Moment bitte«, sagte sie
und verschwand im Sprechzimmer. Kurz darauf steckte sie den Kopf wieder ins
Wartezimmer. »Kommen Sie bitte.«
Ich folgte ihr durch einen
Untersuchungs- und Bestrahlungsraum in ein Sprechzimmer, das Wohlhabenheit und
guten Geschmack verriet.
Dr. Alfmont sah auf. Es war
unser Klient, Mr. Smith.
Ohne die dunkle Brille paßten
die Augen zu dem Gesicht: wach, hart, grau. »Guten Morgen«, sagte er.
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