Die Leichenuhr
die engen Totenkisten hineingequetscht. Zwei Männer, und sie sahen verdammt nicht gut aus. Sie mußten schon eine Weile hier liegen. Ihre Gesichter befanden sich schon im Zustand der Verwesung.
Mir stockte der Atem. Ich dachte daran, daß diese beiden den Besuchern wohl niemals gezeigt würden, und ich erinnerte mich auch wieder an den Geruch, der dem Polo entströmt war.
Nur war dieser hier viel intensiver und widerlicher. Ich wußte sofort, daß ich die beiden Vermißten vor mir hatte, nach denen sich Suko so intensiv erkundigt hatte.
Gingen sie auf Lizzys Konto oder auf das des Direktors? Beiden traute ich nicht über den Weg.
Ich drehte mich wieder herum, weil ich höhersteigen wollte. Ich leuchtete probehalber schon einmal in diese Richtung. Das Licht durchdrang die schwadige Dunkelheit, wobei ich als Ziel eine schmale Balustrade entdeckte, hinter der sich eine weitere Plattform ausbreitete.
Und dort stand ein längerer Gegenstand. Ich sah noch die Rundung, als gleichzeitig die Stimme aufklang.
»Weg mit dem Licht!«
Eine zischende Stimme, die ich trotzdem erkannte. Lizzy Lamotte hatte gesprochen.
Den Gefallen tat ich ihr nicht. Im Gegenteil, ich wollte sie noch besser aus dem Dunkel über mir hervorholen und leuchtete sie direkt an. Es war kein Fehler, denn als sie die Arme hob, da entdeckte ich den schwarzen Gegenstand, den sie mit beiden Händen festhielt. Es war meine Beretta!
Sie zielte damit schräg in die Tiefe, und sie schien mit einer solchen Waffe umgehen zu können.
»Ich bin auch mal als Kunstschützin ausgebildet worden«, erklärte sie mir. »Du kannst mir glauben, daß ich dir aus dieser Entfernung dein Schnüfflergehirn aus dem Schädel schießen werde.«
»Geht in Ordnung«, sagte ich.
Ich löschte die Lampe und steckte sie weg. Die Finsternis umgab mich wie ein lichtloses Gefängnis. Ich hatte mir gemerkt, wo der Aufgang lag, den fand ich auch ohne Licht. Aus dem Dunkel erreichte mich plötzlich die zischende Stimme Lizzy Lamottes. »Du wirst dich erst rühren, wenn ich es dir befehle. Ansonsten wirst du hier noch einige Überraschungen erleben. Vergiß nicht, wo du dich befindest, Sinclair.«
»Ist gut.«
In den nächsten Sekunden senkte sich die Stille über uns. Ich hörte das Klopfen meines eigenen Herzens, doch die Stille hielt nicht lange an.
Wieder sprach Lizzy. Ihre Stimme tönte mir entgegen. Sie klang drohend, was möglicherweise auch an der Dunkelheit lag. Daß sie etwas vorhatte, bekam ich sehr bald bestätigt.
»Du willst die Leichenuhr sehen, Sinclair. Ich weiß, daß du deshalb gekommen bist. Du wirst das vollenden wollen, was einem Hector de Valois nicht gelungen ist. Ich kann dir versprechen, daß du die Uhr zu Gesicht bekommst. Nur etwas Geduld…«
Die mußte ich haben, denn hier setzte eine andere die Zeichen. Ich befand mich in der zweiten Reihe. Außerdem war ich gespannt auf die Begegnung mit der Leichenuhr, und ich wunderte mich gleichzeitig darüber, wie gut diese Person Bescheid wußte. Der Name Hector de Valois war ihr glatt über die Lippen gekommen. Man hatte sie eingeweiht, und ich fragte mich, wer diese Person gewesen war.
Vielleicht auch Gallio?
Irrte der Geist dieses Uhrmachers durch die Zeiten? Fand er keine Ruhe, weil er sich übernommen hatte? Wollte er etwas richten, was er damals versäumt hatte?
Meine Gedanken rissen ab, weil ich plötzlich ein Licht sah. Es flackerte unruhig über mir, und sein Widerschein glitt über die Gestalt in der hellen Kleidung.
Lizzy hielt das Streichholz in der Hand, bewegte es und hielt die Flamme dann an den ersten Kerzendocht, der sofort Feuer fing. Wenig später leuchteten weitere vier Kerzenflammen auf, und sie durchbrachen die bedrückende Finsternis.
Lizzy Lamotte bewegte sich lautlos wie ein Geist. Hin und wieder konnte ich einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Trotz der über die Haut hinwegtanzenden Schatten wirkte es blaß und ungewöhnlich starr, wie auch die Augen.
Im Flammenschein war endlich der Gegenstand zu erkennen, auf den ich so lange gewartet hatte. Seinetwegen war ich überhaupt hergekommen.
Ich sah die Leichenuhr!
Ein Schreck rann mir über den Rücken, wenn ich an ihre Vergangenheit dachte. Ich erinnerte mich sofort an meine Träume und konnte zur Realität keinen Unterschied feststellen.
Wichtig war das Zifferblatt!
Ein ungewöhnlich großes Rund, aus Holz gefertigt von einem Meister seines Fachs. Die römischen Ziffern waren auch im Licht der Kerzen zu erkennen, das sich
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