Die Leichenuhr
zu erreichen, wo sich dann die Zwölf befand, über die beide Spitzen der Zeiger hinwegragten.
Mir wurde heiß, als ich daran dachte, wie viele Opfer die Uhr schon gefordert hatte. Der Name Leichenuhr paßte sehr gut zu ihr.
»Gefällt sie dir, Sinclair?«
»Ich kenne sie.«
»Ach ja? Woher denn?«
Es wunderte mich, daß ich sie durch meine Antwort überrascht hatte.
»Ja, man hat mich vor dieser Uhr gewarnt. Wirst du es glauben, wenn ich dir sage, daß sie in meinen Träumen erschienen ist? Zusammen mit einer Gestalt, die versucht hat, die Uhr oder die Zeit zu beherrschen, aber aufgeben mußte und sich durch die Uhr hat töten lassen.«
»Es war Gallio!«
»Ja, das stimmt.«
»Ich kenne ihn.«
»Woher?«
Lizzy hob ihre Brauen und bewegte auch die Brauen. »Weißt du das nicht?« zischte sie. »Hat es dir dein Traumdeuter wirklich nicht erklärt?«
»Nein.«
»Dann will ich es dir sagen.«
»Darauf warte ich.«
»Ich war die Geliebte des Chronos!« Sie sprach diesen Satz voller Stolz aus, und ich mußte ehrlich zugeben, daß mich dieses Geständnis total überraschte.
Sie war Gallios Geliebte? Davon hatte er mir nichts erzählt. Er hätte es sicherlich getan, wenn auch sie eine Verbindung zu dieser Leichenuhr gehabt hätte.
»Du glaubst mir nicht«, stellte sie fest. Mit sicherem Blick hatte sie meine Unsicherheit erkannt.
»Stimmt, denn ich bin mehr als überrascht!«
»Es entspricht der Wahrheit. Chronos liebte mich. Nur wußte er nicht, daß auch ich mich dem Teufel verschrieben hatte. Ich war eine Dienerin, eine Hexe, und ich spielte für mein Leben gern mit der Zeit.« Sie lachte plötzlich und sagte: »Aber was ist schon Leben bei einer Hexe? Nein, Leben kann man das nicht nennen, denn man hat immer wieder versucht, es mir zu nehmen. Man hat mich verbrannt, nicht nur einmal, man hat mich erschlagen, man hat mich gefoltert. Ich bin verschiedene Tode gestorben, aber immer wieder zurückgekehrt, denn meine Hexenseele fand stets andere Körper. So verfolgte ich den Weg der Uhr, denn auch sie ging durch verschiedene Hände, hatte zahlreiche Besitzer, wobei ich immer in deren Nähe war. Die Leichenuhr ließ ich nicht aus den Augen, denn sie war das Erbe meines Geliebten.«
»Wußte Gallio über dich Bescheid?«
Lizzy hob die Schultern. »Ich weiß es nicht genau, vielleicht hatte er es geahnt, aber er hat nie mit mir darüber gesprochen. Er schied aus dem Leben, und ich blieb, denn ich war gezwungen, auf sein Erbe zu achten, und das wollte ich nie aus den Augen lassen. Luzifers Geist hielt auch mich umfangen. Nach meinen Toden wurde ich dort wiedergeboren, wo sich auch die Leichenuhr befand. So lernte ich die verschiedenen Besitzer kennen und wickelte sie dabei um den Finger.«
»Dann gehört dir die Uhr nicht?«
»Nein.«
»Baresi?«
»Ja, er ist der neue Besitzer. Aber frag mich nicht, wie er an sie herangekommen ist. Er steht übrigens voll und ganz auf meiner Seite, und ich habe ihn in die Funktionen der Leichenuhr eingeweiht. Er weiß genau, daß er durch sie die Chance hat, andere Zeiten zu erleben, daß er hineintauchen kann in die Vergangenheit, um die Szenen dort so plastisch zu erleben, als würden sie in der Gegenwart stattfinden. Das Vergnügen ist dir noch nicht zuteil geworden – oder?«
»Nein, noch nicht.«
»Das wird es auch nicht.« Sie sagte es bedauernd, und ich fragte nach dem Grund.
»Weil ich nicht bis Mitternacht warten möchte.«
»Funktioniert die Magie erst dann?«
»So ist es. Nur von Mitternacht bis zum Ende der ersten Tagesstunde entwickelt die Uhr ihre gesamte Macht. Dann erlebt derjenige, der auf den Zeiger vertraut, die Zeitreisen. Jede Minute kann ihn in eine andere Zeit bringen, doch er darf den Zeiger nicht loslassen, der ihm zum Segen geworden ist.«
»Wann wird er zur Mordwaffe?«
»Man brauchte sich nur auf ihn zu legen und sich aufspießen zu lassen.«
»Das habe ich gesehen.«
»Bei wem?«
»Ich sah Chronos.«
»Ach ja?«
»Sicher. Er hat mir den Weg gezeigt. Er erschien in meinen Träumen, denn er fand keine Ruhe. Er war ein Wanderer zwischen den Welten. Er weiß nicht, wohin er gehört, und er hat ein schlechtes Gewissen, daß es ihm nicht gelungen war, die Leichenuhr zu vernichten. Er hat Hilfe gesucht, er hat sie nicht bekommen, aber er wußte von mir, und ich bin jetzt hier.«
»Um das zu vollenden, was mir nicht gelang?«
»So ist es.«
»Irrtum, Sinclair. Auch wenn du der Nachfolger eines Hector de Valois bist, an mir kommst du
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