Die Leichenuhr
Schwärze hervortauchen wie schwebende Geister, und ich konnte mich darüber nur wundern.
Eine Fratze starrte mich an. Sie grinste mit widerlich breitem Mund.
Glotzaugen stierten ins Leere, aber die Fratze gehörte zum Oberteil eines schmalen Holzschranks, der vor mir stand. Auch in seiner Maserung schimmerten Fratzen, und mir fiel jetzt ein, daß ich mich eigentlich nur an einem bestimmten Ort befinden konnte, eben in diesem Kuriositätenkabinett.
Da mußte jemand gesammelt haben, und das über Jahre hinweg.
Zeugnisse der Geschichte, Kuriositäten, wo immer ich auch hinleuchtete.
Drehorgeln, Spiele für Kinder, ein Schrank mit einer Falltür und immer wieder irgendwelche Masken und schreckliche Gebilde. Des öfteren auch den Teufel in verschiedenen Darstellungen.
Sehr schön für denjenigen, der Gefallen daran fand. Ich gehörte nicht dazu, denn mir ging es um die Uhr, und die hatte ich bei meinem ersten Rundblick nicht gesehen.
Allmählich wurde ich vom langen Sitzen steif. Ich hatte inzwischen festgestellt, daß ich mit dem Rücken gegen eine Couch lehnte. Als ich mich erhob, quietschte sie. Es hörte sich an wie das Schreien kleiner Kinder, und das war ebenfalls wieder ein Gag.
Ich blieb vor der Couch stehen. Die Lampe wanderte, und der Strahl wanderte mit.
Staub schimmerte. Ich entdeckte eine Treppe, die in den ersten Stock hochführte. Es war auch ein durch Gitter abgesicherter Weg zu sehen, den die Besucher gehen mußten. Der Weg setzte sich mehr aus Kurven als aus geraden Strecken zusammen.
Ich stand relativ gut. Schwindlig war mir nicht mehr.
Auch die Schmerzen ließen sich ertragen. Für mich war der Geruch des in meinem Gesicht klebenden Likörzeugs am schlimmsten. Nur war leider keine Dusche in der Nähe.
Der aufgewirbelte Staub kitzelte meine Nase. Ich nieste. Mein Kopf war etwas freier geworden, ich bekam auch wieder besser Luft.
Wo befand sich die Uhr? War ich allein hier? Lauerte diese Lizzy Lamotte auf mich? Daß sie etwas mit der Leichenuhr zu tun hatte, stand für mich fest. Möglicherweise hatte sie die Funktion des verstorbenen Uhrmachers Gallio übernommen, und ich mußte nun die des Hector de Valois wahrnehmen. Man sagt, daß sich in der Geschichte alles wiederholt. Möglicherweise erlebte ich es am eigenen Leibe.
Man hatte mich abseits des offiziellen Besucherwegs liegenlassen. Da die Leichenuhr sicherlich zu den Hauptattraktionen zählte, würde der Weg bestimmt an ihr vorbeiführen. Deshalb entschloß ich mich, ihn zu nehmen.
Bei meinen ersten Schritten konnte ich nicht eben jubeln. Ich kam mir vor wie jemand, der auf Gummi geht. Die nächsten Schritte klappten besser, ich fühlte mich relativ gut, erreichte das Laufgitter, duckte mich darunter hinweg und hatte nun den inneren Weg erreicht.
Nach oben oder in der Höhe bleiben?
Ich entschied mich für den Weg nach oben. Die Luft war verbraucht. Die hier ausgestellten Gegenstände sonderten zudem einen muffigen Gestank ab. Es roch nach altem Holz und auch nach feuchten Klamotten. Langsam nur ging ich weiter, immer wieder nach rechts und links leuchtend, wobei mich stets weitere Überraschungen erwarteten.
Sogar seltsam krumme Schwerter entdeckte ich, stumpfe Lanzen, schiefe Rüstungen, eine Kommode mit verschiedenen Nachttöpfen, zwischen denen verstaubte Perücken lagen. Einen gewissen Humor konnte man dem Aussteller nicht absprechen. Mir allerdings war nicht nach Spaß zumute.
Ich stieg die erste Stufe hoch. Vier Stufen weiter begann eine schmale Plattform, von deren rechtem Rand die Treppe weiterhin in die Höhe führte.
Die Plattform selbst interessierte mich nicht, viel wichtiger waren die dort abgestellten Gegenstände. Als ich den Arm nach links drehte, da erwischte der schmale Strahl etwas Weißes, Flatterhaftes, das aussah wie ein Gespenst. Zudem bewegte es sich in einem dünnen Luftzug, und es sah tatsächlich aus wie ein Leichenhemd. Sicherlich war es auch eines, auch die beiden Särge, die auf dem Boden standen, paßten irgendwie perfekt zu der makabren Performance.
Zwar waren die Särge zu, doch nicht verschlossen. Als Polizeibeamter muß man einfach neugierig sein, da machte auch ich keine Ausnahme.
Leichengeruch!
Ich schluckte, ahnte Schlimmes, wollte trotzdem einen Beweis haben, hob zuerst den einen, dann den zweiten Deckel ab und leuchtete in das Innere der Särge.
War es bisher noch relativ harmlos gewesen, so hörte der Spaß nun endgültig auf. Beide Särge waren belegt!
Zwei Leichen hatte man in
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