Die Leidenschaft des Cervantes
Hand abzählen, als wäre es sein Recht, nichts anderes als eine erstklassige Leistung zu erwarten von allen, die unter seiner Weisung arbeiteten. Ich saß ihm gegenüber und trank einen jeréz . Es war später Nachmittag, in seinem großen Büro wurde es zunehmend dunkler. Die Abenddämmerung war Don Luis die liebste Tageszeit, als würden die sich vertiefenden Schatten ihn beruhigen.
»Für einen Menschen, dessen Blutreinheit nicht erwiesen ist«, fuhr er fort, trank einen Schluck und richtete seinen fast fleischlosen kleinen Finger auf mich, »ist das die einzig richtige Tätigkeit. Ich brauche Ihn nicht daran zu erinnern, dass Juden, wenn es darum geht, Geld aus Leuten zu pressen, unersättliche Blutegel sind.«
Ich lachte leise, straffte aber sofort die Schultern und setzte eine ernste Miene auf. Der Blick, den Don Luis mir zuwarf, war nicht missbilligend. »In der Welt derer, die für den König Steuern eintreiben, grassiert die Korruption, Pascual. Selbst der Ehrlichste – der Miguel, wie wir wissen, nicht ist – muss sich früher oder später den Gewohnheiten des Diebesgesindels anpassen, mit dem er zusammenarbeitet. Wenn er seine Stelle behalten will, wird er ihrem Beispiel folgen müssen, und dann bekommt er, was ihm gebührt.«
Nachdenklich trank er von seinem Sherry, seine Augen waren auf einen Punkt hinter meinem Rücken gerichtet. Sein Mund verzog sich zu einem ganz feinen Lächeln, aber in seinem verträumten Blick lag etwas fast Erschreckendes. Mit einer Geste, ohne mich auch nur anzusehen, forderte er mich auf, den Raum zu verlassen.
Ich wurde zum Bluthund, folgte Cervantes’ Spuren in die gottverlassenen Dörfer, die er in Andalusien besuchte. Ich dankte meinem guten Stern: Dieses Leben war weit besser, als an den Schreibtisch gefesselt zu sein. Zudem entrann ich so dem düsteren Bau des Indienrats und der täglichen Gesellschaft meiner Mitbeamten, die mich unweigerlich an einsame Büßerseelen im Fegefeuer erinnerten. Außerdem – und das war kein geringer Vorteil – bekam ich ein wenig von Spanien zu sehen, was ich mir immer schon gewünscht hatte.
Eines Tages, nachdem ich einen Bericht über Miguels Reisen beendet hatte, gestand Don Luis mir: »Pascual, Er weiß nicht, welchen Trost es mir bereitet, wenn ich mir, ehe ich zum Einschlafen die Augen schließe, Miguel vorstelle, wie er staubig, hungrig, müde, den Stab der Justiz in der guten Hand, auf einem alten Maultier in eines der elenden Städtchen im andalusischen Land reitet, wo er als Steuereintreiber der Krone zweifellos mit Feindseligkeit und Hass empfangen wird.«
Ich war froh, dass ich in seinen Augen nie bedeutend genug sein würde, um seinen Hass auf mich zu ziehen.
Drei Jahre lang gab es wenig über Cervantes zu berichten, auch wenn Don Luis den Namen jedes noch so armseligen Dorfes zu hören verlangte, das jener besuchte, und wie er von den Bauern empfangen wurde, deren Getreide er im Namen der Armada beschlagnahmte. Dann erfuhr ich durch einen meiner Mittelsmänner in Sevilla, dass Cervantes um die Genehmigung ersucht hatte, nach Westindien zu reisen. Ich bat meinen Informanten um eine Kopie des Dokuments und ritt damit, so schnell es mir möglich war, nach Madrid; ich hielt unterwegs kaum an, um zu essen, meine Notdurft zu verrichten oder zu schlafen, damit Don Luis das Schreiben erhielt. In seinem Gesuch an den Hof nannte Cervantes vier Ämter, für die er in Betracht gezogen zu werden bat: die Stellung als Rechnungsprüfer des Vizekönigs in Neu-Granada, das Gouverneursamt der Provinz Soconusco in Guatemala, das Amt des Zahlmeisters für die Galeeren in Cartagena de Indias und das des Magistrats in der Stadt La Paz. All diese Posten waren bedeutend und wurden gemeinhin jenen zuerkannt, die sich im Dienst um den König ausgezeichnet hatten, häufig jedoch wurden sie von einflussreichen Familien für ihre nichtsnutzigen señoritos erwirkt, die für ihre Verwandtschaft in Spanien zum Schandfleck geworden waren. Mir zeigte diese Bittschrift, dass Cervantes sich trotz der Widrigkeiten in seinem Leben selbst noch recht große Bedeutung beimaß. Aber offenbar bedachte er nicht, dass er mit dreiundvierzig Jahren um eine Stellung ersuchte, die die Tatkraft eines weit jüngeren Mannes erforderte.
Don Luis hatte sich nie mehr über mein Erscheinen gefreut als an dem Tag, an dem ich ihm in seinem Büro im Königlichen Indienrat die Kopie von Cervantes’ Gesuch reichte. Er sprach mir die Einladung aus, an diesem Abend mit ihm zu
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