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Die leise Stimme des Todes (German Edition)

Die leise Stimme des Todes (German Edition)

Titel: Die leise Stimme des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kenlock
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Schritten hastete sie den Flur entlang und fragte sich, was man von ihr wollte. Wenn sie nicht gerade Bereitschaftsdienst hatte, führte sie ihr Weg nur selten in die Notaufnahme. Dass sie an einem normalen Kliniktag angepiepst wurde, beunruhigte sie.
    Hoffentlich ist niemandem etwas passiert, den ich kenne.
    Als sie um die Ecke bog, öffneten sich die großen Glastüren automatisch. Zwei Pfleger schoben ein Rollbett an ihr vorbei, und Katherine musste sich an die Wand drücken, um Platz zu machen. Ein alter Mann mit wächserner Gesichtsfarbe, die runzligen Lider geschlossen, lag darin. An seinem Bett waren mehrere Infusionsflaschen befestigt, deren Plastikschläuche zu seinen dünnen Armen führten und wie Würmer wirkten, die aus seinem Körper krabbelten.
    Katherine wandte sich ab und beschleunigte ihren Schritt noch. Eine dumpfe Vorahnung erfasste sie, ohne dass sie sagen konnte, was genau sie ängstigte. Es war einfach ein Gefühl, und es verriet ihr, dass etwas Schlimmes geschehen war.
    Dr. Wolfgang Hermanns schlanke Gestalt ragte plötzlich vor ihr auf. Sein schmales Gesicht mit dem dünnen Oberlippenbart wirkte ernst, so ernst, wie sie es noch nie gesehen hatte.
    Er gehörte zu ihrem Operationsteam, und sie beide hatten schon unzählige schwierige Situationen durchgestanden. Wolfgang verlor nie die Nerven, reagierte stets kühl und überlegt. Und jetzt hatte ihn etwas aus der Fassung gebracht. Sie konnte es an seinen unruhig tanzenden Pupillen und an dem Zittern seiner Hände sehen.
    „Was ist passiert?“, keuchte Katherine.
    „Michelle Saranger wurde gerade eingeliefert. Es sieht schlecht aus. Ich dachte, du solltest Bescheid wissen.“
    Michelle Saranger war eine zweiundzwanzig Jahre alte Kunststudentin, die seit vier Jahren in Deutschland lebte. Ursprünglich stammte sie aus Frankreich, aus Colmar im Elsass, der verträumten kleinen Stadt, in der auch Katherine geboren war. Wie sie selbst hatte Michelle einen französischen Vater und eine deutsche Mutter und besaß beide Staatsbürgerschaften. Michelle war als Kind durch die gleichen verwinkelten Gassen wie Katherine gerannt, hatte am gleichen Flussufer gespielt und die gleiche Grundschule in der Rue de Strasbourg besucht. Trotz des Altersunterschieds von neun Jahren hatten sich die beiden Frauen von Anfang an prächtig verstanden. Michelle litt an einer seltenen Herzmissbildung, die angeboren und inoperabel war. Ihre einzige Hoffnung war ein Spenderherz.
    „Was ist geschehen? Hat ihr Herz versagt?“ Sie beantwortete sich die Frage selbst. „Das kann nicht sein. Ich habe sie erst letzte Woche untersucht. Ihre Werte waren zufriedenstellend.“
    Hermann schüttelte traurig den Kopf. „Sie hatte einen Unfall. Ein Auto hat sie angefahren. Es sieht nicht gut aus.“
    „Ein Unfall?“, wiederholte Katherine ungläubig. „Wo ist sie jetzt?“
    „Im OP.“
    „Wer hat Dienst?“
    „Schneider.“
    Gott sei Dank. Schneider war ein guter Arzt. Ruhig, besonnen und ein hervorragender Chirurg. Wenn jemand Michelle Saranger retten konnte, dann er.
    „Wie ernsthaft sind ihre Verletzungen?“
    „Ich weiß es nicht. Als sie eingeliefert wurde, war ich zufällig unten in der Notaufnahme. Aber es sieht schlimm aus.“
    Dass Hermann sich in der Notaufnahme aufgehalten hatte, war nicht ungewöhnlich. Seine Frau arbeitete dort als Schwester.
    „Und du weißt nichts Genaues?“, hakte Katherine nach.
    „Leider, nein.“ Wolfgang Hermann schüttelte traurig den Kopf, dann wandte er sich um und ging zu den Aufzügen hinüber.
    An der Art, wie er die Schultern hängen ließ, erkannte Katherine den Ernst der Situation.
     
     
    5. Kapitel
     
    Hauptwachtmeister Senfeld blickte von dem Unfallprotokoll auf. Seine blassen, wässrigen Augen richteten sich auf Mark, der dachte, wenn es den Inbegriff eines Polizisten gab, dann saß er vor ihm. Senfeld war stämmig, mit wulstigen Lippen und Fingern, die eine rohe Kartoffel zerdrücken konnten.
    „Und Sie haben den Fahrer nicht erkannt?“
    „Nein.“
    „Nach dem Kennzeichen frage ich erst gar nicht. Aber was ist mit dem Fahrzeugtyp? Sie sagen, es war ein Lieferwagen. So weit, so gut. Welches Fabrikat? Irgendeine Vorstellung?“
    „Nein.“
    „Farbe?“
    „Ich denke, es war grau.“
    „Sie denken, es war grau“, wiederholte Senfeld resigniert.
    „Ja.“
    So ging das seit einer Stunde. Mark war drauf und dran, die Nerven zu verlieren. Der Hauptwachtmeister mit seinem faltigen Gesicht, der dicken Nase und den

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