Die Lennox-Falle - Roman
irgendwie besonderen Einfluß auf meinen Bruder. Jedenfalls hat Harry ihn nicht gehaßt.«
»Ihr Bruder war viel zu professionell eingestellt, um Haß aufkommen zu lassen, geschweige denn zuzulassen, daß er sein Urteilsvermögen beeinträchtigte.«
»Das ist mir klar, und ich gebe ja zu, daß das ein ganz schmaler Grat ist, aber ich habe das Gefühl, daß Harry Respekt für ihn empfand - Respekt ist vielleicht der falsche Ausdruck -, aber da gab es jedenfalls eindeutig eine gewisse Zuneigung - ich kann es nicht erklären, weil ich es nicht verstehe.«
»Vielleicht haben Sie es gerade ausgesprochen. Der Arzt hat ihn anständig behandelt, er hat dem Gefangenen gegenüber eine gewisse Zuwendung an den Tag gelegt.«
»Das wäre dann wohl wieder das Stockholm-Syndrom? Bitte ersparen Sie mir das, die Theorie hat zu viele Löcher, ganz besonders, wenn es um Harry geht.«
»Sie haben ihn, weiß Gott, besser als sonst jemand gekannt … also schön, Drew, ich werde die Anweisung erteilen und Adam Bollinger im Außenministerium nicht einmal damit belästigen. Er hat uns bereits Carte blanche gegeben, wenn auch aus den falschen Motiven heraus.«
»Motiven? Nicht Gründen?«
»Logische Überlegungen kommen bei Bollinger immer erst an zweiter Stelle. Motive haben da Vorrang. Also, bleiben Sie gesund, bleiben Sie am Leben und seien Sie verdammt vorsichtig.«
Gerhard Kröger wurde im Krankenrevier der Botschaft, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine moderne Klinik mit sechs Räumen und den neuesten medizinischen Geräten handelte, auf den Tisch geschnallt. Ein durchsichtiger Schlauch, in dem sich der Inhalt von zwei Plastikbehältern über seinem Kopf mischte, wurde an seinem linken Arm befestigt und die Nadel in seine Vene geschoben. Man hatte ihn vor der Prozedur mit Sedativa behandelt, so daß er ein völlig passiver Patient war, dem in seinem belämmerten Zustand egal war, was ihm bevorstand.
»Wenn er stirbt«, sagte der Botschaftsarzt, ohne dabei den Blick vom Monitor des EKG-Gerätes zu wenden, »dann geht
das auf euer Konto. Ich bin hier, um Leben zu retten, nicht um Menschen zu exekutieren.«
»Sagen Sie das den Familien der Männer, die er getötet hat, ohne auch nur zu wissen, wer sie waren«, erwiderte Drew.
Stanley schob Lennox mit dem Ellbogen beiseite. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn er ins Koma fällt«, befahl er dem Arzt.
Drew trat einen Schritt zurück und stellte sich neben Karin, die fasziniert und abgestoßen zugleich zusah.
»Er erreicht jetzt den Zustand der geringsten Widerstandskraft«, sagte der Arzt. »Jetzt«, fügte er streng hinzu. »Und Befehl oder nicht, ich schalte den Tropf in zwei Minuten ab! Herrgott, eine Minute später ist er tot! … Ich brauche diesen Job nicht, Leute, ich kann der Regierung in drei oder vier Jahren zurückzahlen, was sie für meine Ausbildung ausgegeben hat, aber das hier kann alles Gold in Fort Knox nicht aus meinem Gewissen löschen.«
»Dann gehen Sie zur Seite, junger Mann, und lassen Sie mich arbeiten.« Witkowski beugte sich über Kröger und redete leise auf ihn ein, stellte zuerst die üblichen Fragen über seine Identität und seine Stellung in der Neonazibewegung, die knapp und klar mit monotoner Stimme beantwortet wurden. Dann wurde die Stimme des Colonel lauter; nahm allmählich einen drohenden Tonfall an, bis sie von den Wänden widerhallte. »Jetzt sind wir am Kern, Doktor! Warum wollen Sie, daß Harry Lennox getötet wird?«
Kröger wand sich auf dem Tisch und versuchte, die Gurte zu zerreißen, dann hustete er und spuckte aus. Der Botschaftsarzt packte Witkowski am Arm; aber der Colonel schüttelte ihn heftig ab. »Sie haben noch dreißig Sekunden«, sagte der Arzt und packte den Colonel erneut am Arm.
»Die Pfoten weg! … Hören Sie zu, Kröger! Mir ist scheißegal, ob Sie leben oder sterben! Raus mit der Sprache! Warum müssen Sie Harry Lennox töten? Raus mit der Sprache!«
»Sein Gehirn!« kreischte Gerhard Kröger und schlug mit solcher Kraft um sich, daß einer der Lederriemen dabei riß. »Sein Gehirn!« wiederholte der Nazi und sackte dann in sich zusammen.
»Das ist alles, was Sie kriegen, Witkowski«, sagte der Arzt mit fester Stimme und schaltete die intravenöse Injektion ab. »Sein
Puls ist jetzt auf hundertvierzig. Noch fünf Punkte, und er ist erledigt.«
»Ich will Ihnen was sagen, Medizinmann«, sagte der G-2-Veteran, »wissen Sie, wie der Puls der zwei Hotelangestellten ist, die dieser Drecksack umgelegt hat? Der
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