Die Leopardin
von Chatelle plötzlich an die Verdunkelungsvorschriften halten.
Die Maschine hatte die Weide überflogen und legte sich in die Kurve. »Denken Sie daran, dass das Risiko mit jedem Überflug wächst«, sagte der Pilot nervös. »Jeder in diesem Dorf da unten kann unsere Motoren hören. Da braucht nur ein Einziger auf die Idee kommen, die Polizei zu rufen.«
»Das ist es!«, rief Flick. »Wir müssen hier doch alle aufgeweckt haben, aber nicht einer hat das Licht angemacht!«
»Na, ich weiß nicht, die Leute auf dem Land sind manchmal ziemlich desinteressiert. Wenn man sie fragt, sagen sie, dass sie gerne unter sich bleiben und ihre Ruhe haben wollen.«
»Quatsch. Sie sind genauso neugierig wie alle anderen auch. Das hier ist merkwürdig.«
Die Nervosität des Piloten wuchs, doch er kreiste weiter über dem Landeplatz.
Plötzlich wusste Flick, was sie beunruhigte. »Der Bäcker! Sein Ofen brennt nicht! Normalerweise sieht man das Glühen aus der Luft.«
»Vielleicht hat er heute geschlossen?«
»Was für ein Tag ist heute? Sonnabend. Ein Bäcker hat vielleicht am Montag oder am Dienstag geschlossen, aber doch niemals an einem Samstag. Was ist hier los? Das Dorf sieht aus wie ausgestorben!«
»Dann machen wir uns lieber wieder vom Acker.«
Flick hatte den Eindruck, irgendjemand habe die Dorf-Bewohner samt dem Bäcker zusammengetrieben und in eine Scheune gesperrt. Für die Gestapo wäre das typisch – vorausgesetzt, sie wusste Bescheid und lag auf der Lauer.
Nein, dachte sie, ich kann die Operation unmöglich abblasen, dazu ist sie viel zu wichtig. Aber wir dürfen keinesfalls über Chatelle abspringen. »Ein Risiko bleibt ein Risiko«, sagte sie.
Der Pilot: verlor allmählich die Geduld. »Also, was haben Sie vor?«
Mit einem Mal fielen ihr wieder die Behälter im Passagierraum ein. »Was ist Ihr nächstes Ziel?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Normalerweise natürlich nicht, klar. Aber ich muss es jetzt ausnahmsweise wissen.«
»Ein Feld nördlich von Chartres.«
Die Vestryman-Zelle also. »Ich weiß Bescheid«, sagte Flick mit wachsender Erregung. Das war vielleicht die Lösung! »Sie könnten uns sozusagen mit den Behältern abwerfen. Es wird ein Empfangskomitee da sein, das sich um uns kümmert. Heute Nachmittag könnten wir in Paris sein und morgen Vormittag in Reims.«
Der Pilot griff nach dem Steuerknüppel. »Also nach Chartres, ja?«
»Wäre es möglich?«
»Ich kann Sie dort absetzen, kein Problem. Die strategische Entscheidung liegt bei Ihnen. Sie führen bei diesem Einsatz das Kommando, das hat man mir unmissverständlich klargemacht.«
Flick überlegte hin und her. Sie machte sich große Sorgen. Wenn der Verdacht unbegründet ist, dachte sie, muss ich Michel über die Funkverbindung zu Brian informieren, dass wir zwar die Landung in Chatelle abgeblasen haben, uns aber dennoch auf dem Weg nach Reims befinden. Aber angenommen, Brians Funkgerät ist der Gestapo in die Hände gefallen? Ich darf nur ein Minimum an Informationen durchgeben. Aber wenigstens das ist machbar.
Sie konnte einen kurzen Funkspruch aufnotieren und ihn von dem Piloten zu Percy bringen lassen. In zwei Stunden wäre Brian dann im Bilde.
Auch die Pläne für die Abholung der Dohlen nach dem Einsatz mussten geändert werden. Bis jetzt war vorgesehen, dass am Sonntagmorgen um zwei eine Hudson auf der Weide bei Chatelle landen und, falls die Dohlen nicht auftauchten, am nächsten Tag zur gleichen Zeit wieder kommen sollte. Wenn Chatelle an die Gestapo verraten worden war und nicht mehr benutzt werden konnte, musste die Maschine umgeleitet werden, und zwar nach Laroque westlich von Reims, zu einem geheimen Landeplatz mit dem Decknamen Champ d’Or. Der Einsatz würde einen Tag länger dauern, weil ihnen ja noch die Fahrt von Chartres nach Reims bevorstand. Der Abholer musste also auf Montagmorgen zwei Uhr bestellt werden, Ausweichtermin Dienstag um dieselbe Zeit.
Flick wog die Konsequenzen gegeneinander ab. Das Ausweichen nach Chartres bedeutete den Verlust eines Tages. Die Landung in Chatelle konnte aber das komplette Scheitern der Mission zur Folge haben und dazu führen, dass alle Dohlen in den Folterkellern der Gestapo endeten. Im Grunde hatte sie keine Wahl.
»Fliegen Sie nach Chartres«, sagte sie zu dem Piloten.
»Verstanden.«
Während die Maschine abdrehte, ging Flick in den Passagierraum zurück. Die Dohlen sahen sie erwartungsvoll an. »Der Plan ist geändert worden«, sagte sie.
Major Dieter
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