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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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an einer Büste von Andrew Carnegie vorbei zur Bibliothek. Natürlich war sie geschlossen, und es brannte nirgendwo Licht. Die Glastüren waren mit einem verzierten Gitter aus Schmiedeeisen geschützt. Franck ging um das Gebäude herum und fand einen Kellereingang mit einer einfachen Holztür und der Aufschrift Archiven Municipales – Stadtarchiv.
    Er nahm das Schloss ins Visier und schlug zu. Nach vier Schlägen war es kaputt. Franck trat ein, drehte die Lichter an und lief eine schmale Treppe hinauf ins Hauptgeschoss. Durch die Eingangshalle gelangte er zur Abteilung für schöngeistige Literatur. Dort suchte er rasch nach dem Buchstaben F und zog gleich darauf das Buch aus dem Regal, auf das er es abgesehen hatte: Flauberts Madame Bovary. Viel Glück hatte er dabei nicht gebraucht – es war vermutlich der einzige Roman, den man garantiert in jeder Bibliothek des Landes fand.
    Er schlug Kapitel neun im zweiten Teil auf und überflog den Absatz, den er im Sinn hatte. Sein Gedächtnis hatte ihn nicht getrogen. Der Text hielt, was er sich von ihm versprochen hatte, und würde ihm sehr gute Dienste leisten.
    Er kehrte zum Wagen zurück. Goedel wirkte belustigt, und Weber fragte ungläubig: »Sie haben sich was zu lesen geholt?«
    »Manchmal schlafe ich schlecht ein«, erwiderte Franck.
    Goedel lachte. Er nahm Franck das Buch aus der Hand und las den Titel. »Ein Klassiker der Weltliteratur«, sagte er. »Glaube allerdings nicht, dass jemand schon mal in eine Bibliothek eingebrochen ist, um ihn sich auszuleihen.«
    Sie fuhren weiter nach Sainte-Cecile. Als sie beim Schloss ankamen, war Francks Plan ausgereift.
    Er befahl Leutnant Hesse, Clairet auf das Verhör vorzubereiten, indem er ihn nackt auszog und an einen Stuhl in der Folterkammer fesselte. »Zeigen Sie ihm die Zange, mit der wir Fingernägel ausreißen«, sagte er, »und lassen Sie sie auf dem Tisch liegen, sodass er sie dauernd vor Augen hat.« Während Hesse den Befehl ausführte, besorgte Franck sich einen Federhalter, ein Fässchen Tinte und einen Block Briefpapier aus den Büros im oberen Stockwerk. Walter Goedel suchte sich einen Zuschauerplatz in einer Ecke der Folterkammer und ließ sich dort nieder.
    Franck betrachtete Michel Clairet genau. Der Anführer der Bollinger-Zelle war ein groß gewachsener Mann mit attraktiven Lachfältchen um die Augen. Ein Filou mit einer Spur Verwegenheit, genau der Typ, auf den die Frauen flogen. Er hat zweifellos Angst, wirkt aber sehr entschlossen, dachte Franck. Offenbar zerbricht er sich den Kopf darüber, wie er der Folter möglichst lange widerstehen kann.
    Er deponierte Federhalter, Tinte und Papier direkt neben der Fingernagelzange auf dem Tisch – ein stummer Hinweis für Clairet, dass es Alternativen gab. »Binden Sie ihm die Hände los!«, befahl er.
    Hesse gehorchte. Clairets Gesicht verriet große Erleichterung, verbunden mit der Sorge, es könne gar nicht wahr sein.
    Franck wandte sich an Walter Goedel. »Vor der Befragung der Gefangenen verlange ich von ihnen eine Probe ihrer Handschrift.«
    »Ihrer Handschrift?«
    Franck nickte und ließ dabei Clairet nicht aus den Augen. Er schien das kurze, auf Deutsch geführte Gespräch, verstanden zu haben und schöpfte offenbar weitere Hoffnung.
    Franck zog nun Madame Bovary aus der Tasche, legte das Buch aufgeschlagen auf den Tisch und sagte auf Französisch zu Michel Clairet: »Schreiben Sie Kapitel neun im zweiten Teil ab!«
    Der zögerte. Die Aufforderung als solche kam ihm harmlos vor. Franck sah ihm an, dass er einen Trick vermutete, sich aber nicht vorstellen konnte, welchen. Franck wartete ab. Die Resistance wies ihre Leute an, im Ernstfall alles nur Erdenkliche zu tun, um den Beginn der eigentlichen Folter hinauszuschieben. Für Clairet bot sich demnach die Chance zu einem Aufschub, und, was immer dahinter steckte, es war allemal besser, der Aufforderung nachzukommen, als sich die Fingernägel herausreißen zu lassen.
    »Na schön«, sagte er nach einer längeren Pause und begann mit der Abschrift.
    Franck ließ ihn nicht aus den Augen. Clairets Schrift war großzügig und extravagant. Für zwei Druckseiten aus dem Buch brauchte er sechs Bögen Papier. Als er umblättern wollte, hinderte Franck ihn daran. Er ließ ihn von Hesse in seine Zelle zurückbringen und befahl, als Nächste Gilberte Duval vorzuführen.
    Goedel betrachtete die Bögen, die Clairet beschrieben hatte, und schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, worauf Sie

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