Die Leopardin
Franck lag unter einer Hecke und beobachtete mit wachsender Befremdung das britische Flugzeug, das über der Viehweide kreiste.
Worauf warteten sie noch? Der Pilot hatte den Landeplatz jetzt zweimal überflogen. Die Markierungslichter waren an Ort und Stelle und bezeichneten die Landebahn. Hatte der Anführer des Empfangskomitees den falschen Code geblinkt? Oder hatten die Männer von der Gestapo irgendetwas getan, was Verdacht erregen konnte?
Es ist zum Verrücktwerden!, dachte er. Felicity Clairet ist nur ein paar Meter entfernt, praktisch in Reichweite. Mit einem gezielten Schuss auf den Flieger und ein bisschen Glück könnte ich sie sogar treffen.
In diesem Augenblick drehte das Flugzeug ab und verschwand dröhnend in südlicher Richtung.
Franck war am Boden zerstört. Die Clairet war ihm entkommen – und das vor den Augen von Walter Goedel, Willi Weber und zwanzig Gestapo-Leuten.
Er gönnte sich einen Moment der Schwäche und barg das Gesicht in den Händen.
Was ist nur schief gelaufen?, fragte er sich, und es fielen ihm sogleich ein Dutzend möglicher Gründe ein. Das Dröhnen der Flugzeugmotoren wurde leiser, und Franck hörte jetzt aufgeregtes Geschrei auf Französisch. Die Resistance-Leute schienen genauso perplex zu sein wie er. Offenbar hatte Felicity Clairet, immerhin eine erfahrene Einsatzleiterin, den Braten gerochen und den Absprung abgeblasen.
Walter Goedel, der neben ihm lag, fragte: »Was wollen Sie jetzt tun?«
Franck dachte kurz nach. Hier hatte er vier Resistance-Kämpfer direkt vor der Nase: Michel Clairet, den Kopf der Bande, der wegen seiner Schusswunde immer noch hinkte; Helicopter, den britischen Funker; einen Franzosen, den Franck nicht identifizieren konnte, und eine junge Frau. Was sollte er mit denen tun? Seine Strategie, Helicopter frei herumlaufen zu lassen, war nur in der Theorie gut gewesen. In der Praxis hatte sie zu zwei demütigenden Rückschlägen geführt. Sie dennoch weiter zu verfolgen, dazu fehlte ihm jetzt der Nerv. Irgendetwas musste bei diesem Fiasko herausspringen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die alten Verhörmethoden zurückzugreifen und darauf zu hoffen, wenigstens noch einen Teilerfolg zustande zu bringen und seine eigene Reputation zu retten.
Er hob das Mikrofon des Kurzwellensenders vor die Lippen: »An alle Einheiten, hier spricht Major Franck«, sagte er leise. »Es geht los, ich wiederhole, es geht los!« Dann stand er auf und zog seine Pistole.
Die in den Bäumen verborgenen Scheinwerfer flammten auf. Die vier Resistance-Kämpfer mitten auf der Wiese wurden gnadenlos angestrahlt und wirkten dadurch umso verstörter und verletzlicher. Franck rief ihnen auf Französisch zu: »Sie sind umstellt! Hände hoch!«
Neben ihm zog Goedel seine Luger. Die vier Gestapo-Männer, die bei Franck standen, richteten ihre Waffen auf die Beine der Ertappten. Einen Moment lang herrschte Unsicherheit: Würden die Partisanen das Feuer eröffnen? In dem Fall würden sie alle niedergemäht, und es wäre schon ein glücklicher Zufall, wenn der eine oder andere verletzt überlebte. Irgendwie schien aber das Glück Dieter Franck in dieser Nacht im Stich gelassen zu haben. Wurden die vier Feinde getötet, stand er mit leeren Händen da.
Die Ertappten zögerten.
Franck trat ins Licht, und die vier Scharfschützen folgten ihm. »Zwanzig Schusswaffen sind auf Sie gerichtet!«, rief er. »Hände weg von den Pistolen!«
Einer aus der Vierergruppe rannte los.
Franck fluchte. Im Scheinwerferlicht sah er rote Haare schimmern: Das war Helicopter, der dumme Junge. Er rannte über die Wiese wie ein angreifender Stier. »Feuer«, befahl Franck leise. Alle vier Schützen zielten sorgfältig und schossen. Die Schüsse hallten über die stille Wiese. Helicopter lief noch zwei Schritte, dann stürzte er zu Boden.
Franck beobachtete die anderen drei und wartete ab. Langsam hoben sie die Hände über den Kopf.
Franck nahm wieder das Mikrofon zur Hand. »An alle Einheiten auf der Weide: In Marsch setzen und die Gefangenen festnehmen.«
Er steckte seine Pistole wieder ein und ging zu der Stelle, wo Helicopter lag. Der Körper rührte sich nicht. Die Gestapo-Schützen hatten zwar auf die Beine gezielt, doch war es bei diesen Lichtverhältnissen schwer, ein bewegliches Ziel zu treffen. Einer hatte wohl zu hoch gezielt – jedenfalls war eine Kugel in den Hals eingedrungen und hatte das Rückenmark oder die Drosselvene oder beides durchschlagen. Franck kniete nieder und tastete
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