Die Leopardin
vertraut vor, sodass sie sich das Motiv näher besah. Der Schreck war so groß, dass ihr fast das Herz stehen geblieben wäre.
Sie sah ein Bild von sich selbst.
Sie kannte es nicht, ja sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass sie jemals im Badeanzug fotografiert worden war. Der Hintergrund war wolkig, als wäre er übermalt worden, und ließ daher keine Rückschlüsse zu. Auf dem Plakat stand ihr Name sowie einer ihrer früheren Decknamen – Franfoise Boule. Außerdem wurde sie als Mörderin bezeichnet.
Der Plakatierer hatte seine Aufgabe gerade beendet. Er nahm seinen Leimeimer auf, klemmte sich einen Stoß weiterer Plakate unter den Arm und schlenderte davon.
Flick begriff, dass der Steckbrief in ganz Paris aushängen musste.
Ein grauenvoller Rückschlag. Wie angefroren stand sie auf dem Bahnsteig. Ihre Angst war so übermächtig, dass ihr speiübel wurde und sie sich am liebsten übergeben hätte. Es gelang ihr gerade noch, sich zusammenzureißen.
Die wichtigste Frage war, wie sie aus dem Bahnhof herauskommen sollte. Vorne an der Sperre, wo man die Fahrkarten vorzeigen musste, kontrollierte die Gestapo die Reisenden. Die Dienst habenden Beamten kannten den Steckbrief mit Sicherheit schon.
Wie sollte sie an ihnen vorbeikommen? Mit schönen Worten bestimmt nicht. Erkannte man sie, so wurde sie verhaftet, und keine noch so überzeugende Legende würde einen deutschen Beamten oder Offizier dazu bewegen können, sie laufen zu lassen. Ob sich wenigstens die anderen Dohlen den Weg freischießen konnten? Vielleicht gelang es ihnen, die beiden Männer am Kontrollpunkt zu erschießen – aber die waren gewiss nicht allein. Vermutlich trieben sich überall auf dem Bahnhof Gestapo-Offiziere herum, ganz abgesehen von den französischen Polizisten, die dafür bekannt waren, dass sie gern schon schössen, bevor sie Fragen stellten. Nein, diese Lösung war viel zu riskant.
Einen Ausweg gibt es, fiel Flick ein. Ich kann das Kommando an eine der anderen übergeben – am besten wohl an Ruby. Dann warte ich, bis sie den Kontrollpunkt passiert haben und stelle mich. Möglicherweise kann unsere Aufgabe dann doch noch erfüllt werden.
Sie sah sich um. Ruby, Diana und Maude waren bereits aus dem Zug ausgestiegen, die beiden Gendarmen Christian und Jean-Marie wollten es gerade. Plötzlich fielen Flick die Handschellen in Christians Tasche ein, und eine verrückte Idee schoss ihr durch den Kopf.
Sie stieg wieder ein und drängte gleichzeitig Christian und seinen Kollegen in den Waggon zurück.
Der junge Mann wusste offenkundig nicht, was er davon zu halten hatte, und lächelte unsicher. »Was ist los?«
»Sehen Sie dort«, erklärte sie. »Da hängt ein Steckbrief mit meinem Bild an der Wand.«
Beide Gendarmen drehten die Köpfe. Christian wurde blass, und Jean-Marie sagte: »Mon Dieu, Sie sind wirklich Agentinnen!«
»Sie müssen mir helfen«, sagte Flick.
»Wie das?«, fragte Christian. »Die Gestapo...«
»Ich muss unbedingt an dem Kontrollpunkt vorbei.«
»Aber die werden Sie sofort verhaften.«
»Nicht, wenn ich schon verhaftet bin.«
»Wie meinen Sie das?«
»Legen Sie mir Ihre Handschellen an. Tun Sie so, als hätten Sie mich geschnappt, und bringen Sie mich so durch die Kontrolle. Wenn Sie angehalten werden, behaupten Sie, Sie brächten mich in die Avenue Foch 84.« Das war die Adresse des Gestapo-Hauptquartiers.
»Und dann?«
»Dann stoppen Sie ein Taxi und steigen mit mir ein. Sobald wir vom Bahnhof aus nicht mehr zu sehen sind, nehmen Sie mir die Handschellen ab, lassen mich in einer ruhigen Seitenstraße aussteigen und fahren weiter zu Ihrem eigentlichen Ziel.«
Christian sah aus, als würde er schier sterben vor Angst. Flick erkannte, dass er verzweifelt nach einer Ausrede suchte, um sich zu drücken, doch mit seinen großen Worten über die Resistance hatte er sich zu sehr festgelegt.
Jean-Marie war ruhiger. »Das klappt bestimmt«, sagte er. »Polizisten in Uniform geraten nicht so leicht in Verdacht.«
Auch Ruby war inzwischen wieder in den Waggon gestiegen und kam auf sie zu. »Flick!«, sagte sie. »Dieser Steckbrief da.«
»Ich weiß. Die beiden Gendarmen hier werden mich in Handschellen durch die Kontrolle bringen und später wieder laufen lassen. Sollte irgendwas schief gehen, übernimmst du das Kommando.« Sie wechselte ins Englische. »Den Eisenbahntunnel kannst du vergessen, der war nur vorgeschoben. Unser eigentliches Ziel ist die Fernmeldezentrale in Sainte-Cecile. Aber sag es
Weitere Kostenlose Bücher