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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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aus dem Äther, die irgendwo zwischen dem arktischen Norden Norwegens und dem staubigen Süden Spaniens aufgegeben worden waren. Vierhundert Funker und Kodierer, die meisten weiblichen Geschlechts und zu den FANYs gehörend, arbeiteten in dem großen Haus und wohnten in hastig im Garten errichteten Nissenhütten.
    Paul wurde von einer Abteilungsleiterin herumgeführt. Jean Bevins war eine gewichtige Frau mit Brille, die vor dem persönlichen Repräsentanten Montgomerys zunächst in Ehrfurcht schier erstarb. Doch Paul lächelte und sprach mit sanfter Stimme, sodass sie sich alsbald entspannte und in seiner Gesellschaft wohl fühlte. Sie führte ihn in den Senderaum, wo ungefähr hundert junge Frauen in Reihen saßen, jede mit Kopfhörern, Notizblock und gespitzten Bleistiften. Auf einer großen Tafel standen die Codenamen der einzelnen Agenten, die so genannten skeds – die Ankunftszeiten der erwarteten Funksprüche – sowie deren Frequenzen. Es herrschte eine Atmosphäre äußerster Konzentration, und das einzige Geräusch, das zu hören war, kam von den Morsetasten, wenn eine Funkerin einem Agenten mitteilte, dass sie ihn laut und deutlich empfangen könne.
    Jean Bevins stellte Paul ein hübsches junges Mädchen namens Lucy Briggs vor. Sie sprach einen so starken Yorkshire-Dialekt, dass er genau hinhören musste, um sie zu verstehen. »Helicopter?«, sagte sie. – »Aye, ich kenne Helicopter – er ist neu bei uns. Er sendet um zwanzig Uhr und empfängt um dreiundzwanzig Uhr. Bisher hatten wir keine Probleme mit ihm.«
    »Was meinen Sie damit?«, fragte er. »Was für Probleme können denn auftreten?«
    »Na ja, manche stellen ihren Sender nicht richtig ein, sodass wir die Frequenz erst suchen müssen. Oder die Signale sind so schwach, dass man die Buchstaben nicht gut hört und befürchten muss, dass man Striche für Punkte hält – zum Beispiel beim B, das dem D sehr ähnlich ist. Und die Tonqualität dieser Koffergeräte ist immer schlecht, weil sie so klein sind.«
    »Würden Sie seine ›Handschrift‹ erkennen?«
    Sie sah ihn zweifelnd an. »Er hat erst dreimal gesendet. Am Mittwoch war er ein bisschen nervös, vielleicht, weil es das erste Mal für ihn war, aber der Rhythmus war ruhig und gleichmäßig, als wüsste er, dass er viel Zeit hatte. Mir war das nur recht, denn ich schloss daraus, dass er sich verhältnismäßig sicher fühlen muss. Wir machen uns immer Sorgen um die Leute da draußen, wissen Sie. Wir sitzen hier hübsch gemütlich im Warmen, und die Armen hocken irgendwo hinter den feindlichen Linien und müssen diese verdammte Gestapo austricksen.«
    »Erinnern Sie sich auch noch an seinen zweiten Funkspruch?«
    »Ja. Der kam am Donnerstag, und da hat er es eilig gehabt. Wenn sie in Eile sind, kann man manchmal nur schwer verstehen, was sie meinen – waren das jetzt zum Beispiel zwei Punkte hintereinander oder ein kurzer Strich? Helicopter jedenfalls wollte den Ort, von dem aus er gesendet hat, so schnell wie möglich wieder verlassen, da bin ich mir ganz sicher.«
    »Und danach?«
    »Am Freitag hat er sich nicht gemeldet. Aber ich hab mir keine Sorgen gemacht. Sie senden nur dann, wenn sie müssen, sonst ist es zu gefährlich. Die nächste Meldung kam erst am Samstagmorgen rein, kurz vor Morgengrauen, auf der Notfallfrequenz. Klang aber nicht nach Panik oder so – im Gegenteil, ich hab mir noch gedacht, jetzt hat er wohl den richtigen Dreh raus. Sie wissen schon, das Signal war stark, der Rhythmus regelmäßig, die Buchstaben kamen alle klar und deutlich rüber.«
    »Wäre es denkbar, dass bei diesem Mal jemand anders sein Funkgerät benutzt hat?«
    Lucy Briggs dachte über Pauls Frage nach. »Eigentlich klang’s wie er selber... aber doch, ja, es hätte auch wer anders sein können. Und angenommen, es war ein Deutscher, der sich für Helicopter ausgab – der hätte ja nichts zu befürchten gehabt. Also kann er auch in aller Ruhe und Regelmäßigkeit senden, nicht wahr?«
    Paul hatte das Gefühl, durch einen Sumpf zu waten. Auf jede Frage, die er stellte, gab es zwei verschiedene Antworten. Er lechzte nach etwas Handfestem. Und jedes Mal, wenn ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, dass er Flick, keine Woche nachdem sie wie ein Geschenk der Götter in sein Leben getreten war, vielleicht schon wieder verlieren könnte, musste er eine Panikattacke niederkämpfen.
    Jean Bevins, die sich vorübergehend entfernt hatte, kam zurück. Sie hielt mehrere Bögen Papier in ihren pummeligen Händen.

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