Die Leopardin
griffen gleichzeitig nach ihren Handtaschen, die neben ihren Stühlen auf dem Boden standen. Franck veränderte seine Position, sodass er nun schräg hinter Diana stand und ihr über die Schulter sehen konnte. Urplötzlich wusste Flick, was als Nächstes passieren würde.
Maude holte ihre Ausweispapiere aus der Handtasche, doch Diana zog ihre Waffe. Ein Schuss knallte, und einer der uniformierten Gestapo-Leute brach zusammen. Im Restaurant brach Chaos aus. Frauen kreischten, Männer suchten Deckung. Ein zweiter Schuss knallte, und ein zweiter Gestapo-Mann schrie auf. Einige Gäste rannten zum Ausgang.
Dianas Waffe zielte jetzt auf einen dritten Gestapo-Mann. Flick hatte auf einmal ein kristallklares Bild aus ihrer Erinnerung vor Augen: Diana im Wald von Somersholme, wie sie auf dem Boden saß, eine Zigarette in der Hand hielt, und um sie herum lagen lauter tote Kaninchen. Flick musste daran denken, was sie zu Diana gesagt hatte: »Du kannst töten.« Sie hatte Recht gehabt.
Aber es fiel kein dritter Schuss.
Franck hatte in der Aufregung einen kühlen Kopf behalten. Mit beiden Händen packte er Dianas rechten Unterarm und schmetterte ihr Handgelenk gegen die Tischkante. Diana schrie auf vor Schmerz und ließ die Pistole fallen. Franck zerrte sie von ihrem Stuhl, warf sie mit dem Gesicht voran auf den Teppich und rammte ihr beide Knie ins Kreuz. Dann zog er ihr die Hände auf den Rücken und legte ihr Handschellen an. Dass sie vor Schmerzen brüllte, als er an ihrem verletzten Handgelenk riss, kümmerte ihn nicht. Dann stand er auf.
Flick sagte zu Ruby: »Hauen wir ab!«
Am Eingang war ein wüstes Gedränge entstanden. Zahllose Männer und Frauen waren in Panik geraten und wollten nun alle gleichzeitig zur Tür hinaus. Noch ehe Flick sich rühren konnte, war der junge SS-Sturmbannführer, der sie so angestarrt hatte, von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte sie am Arm gepackt. »Moment mal«, sagte er auf Französisch.
Flick bezähmte ihre eigene Panik. »Rühren Sie mich nicht an!«
Sein Griff verstärkte sich. »Sie scheinen diese beiden Frauen dort zu kennen.«
»Nein, das tu ich nicht!« Flick versuchte weiterzugehen.
Aber er riss sie zurück. »Sie bleiben gefälligst hier und beantworten uns ein paar Fragen.«
Wieder fiel ein Schuss. Mehrere Frauen kreischten auf, doch niemand schien zu wissen, woher der Schuss gekommen war. Das Gesicht des SS-Manns verzerrte sich im Todeskampf. Als er zusammensackte, sah Flick, wie Ruby, die hinter ihm stand, ihre Pistole unauffällig wieder in die Tasche ihres Regenmantels schob.
Zu zweit stürzten sie sich in das Gedränge vor der Tür, stießen rücksichtslos die Menschen beiseite und schlugen sich ins Foyer durch. Dort konnten sie losrennen, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen, denn alle liefen davon.
Eine lange Reihe von Automobilen parkte am Straßenrand in der Rue Cambon, einige von ihnen unter der Obhut ihrer Chauffeure. Die meisten Fahrer waren jedoch unterwegs zum Hotel, weil sie sehen wollten, was dort los war. Flick entschied sich für einen Mercedes 230 mit Ersatzreifen auf dem Trittbrett und warf einen Blick hinein: Der Schlüssel steckte. »Steig ein!«, schrie sie Ruby zu. Sie setzte sich hinters Lenkrad und zog den Selbstanlasser. Der starke Motor erwachte grollend zum Leben. Flick legte den ersten Gang ein, drehte am Steuerrad und gab Gas. Rasch ließen sie das Ritz hinter sich zurück. Der Wagen war schwer und träge, aber stabil; bei höheren Geschwindigkeiten hatte er eine Kurvenlage wie ein Zug.
Mehrere Querstraßen entfernt vom Hotel zog sie Bilanz. Sie hatte ein Drittel ihres Teams verloren, darunter ihre beste Schützin. Sie überlegte, ob sie die Mission aufgeben sollte, und entschied sich fast noch im gleichen Atemzug dafür, weiterzumachen. Leichter wurde es dadurch nicht – im Gegenteil: Sie würde erklären müssen, warum statt der üblichen sechs nur vier Putzfrauen im Chateau erschienen. Eine Ausrede würde sich schon finden lassen – auch wenn die Fragen entsprechend kritischer sein würden. Flick war bereit, das Risiko einzugehen.
Den Wagen ließ sie in der Rue de la Chapelle stehen. Ruby und sie waren der unmittelbaren Gefahr entgangen.
Auf schnellstem Wege kehrten sie in ihr Hotel zurück. Ruby holte Greta und Jelly und brachte sie in Flicks Zimmer. Dort erfuhren die beiden, was passiert war.
»Diana und Maude werden garantiert sofort in die Mangel genommen«, sagte Flick. »Dieser Major Franck ist ein ebenso fähiger
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