Die Leopardin
Gestapo-Offizier verfasst worden, der sich krampfhaft darum bemühte, den Anschein gelassener Routine aufrechtzuerhalten. Der einzige Fehler war »Enfeld« statt »Enfield« – und selbst das wies auf einen Deutschen hin, denn das englische field hieß im Deutschen Feld.
Es gab keinen Zweifel mehr. Flick war in höchster Lebensgefahr.
Paul massierte sich mit der rechten Hand die Schläfe. Die Würfel waren gefallen, und er wusste, was er zu tun hatte. Die Operation stand kurz vor dem Scheitern, und er musste sie retten – sie und Flick.
Er blickte auf und erkannte, dass Jean Bevins ihn mitleidsvoll ansah. »Kann ich mal Ihr Telefon benutzen?«, fragte er.
»Selbstverständlich.«
Er wählte die Nummer in der Baker Street. Percy saß an seinem Schreibtisch. »Hier Paul. Ich bin überzeugt, dass sie Brian geschnappt haben. Sein Funkgerät wird von der Gestapo benutzt.« Er hörte, wie Jean Bevins hinter ihm abrupt die Luft anhielt.
»Hölle, Tod und Teufel!«, sagte Percy. »Ohne das Gerät können wir Flick nicht warnen.«
»Doch, können wir.«
»Wie denn?«
»Verschaffen Sie mir eine Maschine, Percy. Ich fliege nach Reims – noch heute Nacht.«
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sonntag, 4. juni 1944
Die Avenue Foch schien für die Reichen dieser Welt gebaut worden zu sein. Die breite Prachtstraße, die vom Triumphbogen zum Bois de Boulogne führte, wurde von Ziergärten gesäumt, durch die kleine Stichstraßen zu palastartigen Häusern führten. Nummer 84 war eine prunkvolle Residenz mit einem weiten Treppenhaus, das einem fünf Stockwerke mit geschmackvollen Räumen erschloss. Die Gestapo hatte dieses Haus in ein Folterhaus verwandelt.
Dieter Franck saß in einem perfekt proportionierten Salon und betrachtete interessiert die erlesene Dekoration der Zimmerdecke. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich auf das bevorstehende Verhör. Es galt, den Geist zu schärfen und gleichzeitig alle menschlichen Gefühle zu betäuben.
Manchen Männern machte das Foltern von Gefangenen Spaß, Wachtmeister Becker in Sainte-Cecile zum Beispiel. Sie grinsten, wenn die Opfer vor Schmerzen schrien, bekamen Erektionen, wenn sie ihnen Wunden beibrachten, und schließlich sogar Orgasmen, wenn die Gequälten sich im Todeskampf wanden. Weil sie jedoch den Schmerz der Opfer höher bewerteten als die Informationen, die sie ihnen entlocken konnten, taugten solche Typen als Vernehmer nicht viel. Die besten Ergebnisse erzielten Männer wie er selbst, welche die ganze Prozedur aus tiefstem Herzen verabscheuten.
Er stellte sich vor, wie er tief in seinem Innern alle Gefühle in Schränke sperrte und die Türen verschloss. Von nun an waren die beiden Frauen für ihn nur noch Teile einer Maschine, die, sobald man wusste, wie man sie anstellte, Informationen ausspuckte. Wie eine imaginäre Schneedecke legte sich die vertraute Kälte über ihn, und er wusste, dass er bereit war.
»Bringen Sie mir die Ältere«, sagte er.
Leutnant Hesse ging sie holen.
Major Franck beobachtete sie genau, als sie hereinkam und sich auf den Stuhl setzte. Sie hatte kurzes Haar und breite Schultern und trug ein Kostüm im Herrenschnitt. Ihre rechte Hand hing schlaff herunter, und sie stützte den geschwollenen Unterarm mit der Linken: Er hatte ihr im Ritz das Handgelenk gebrochen. Die Frau litt offenkundig unter großen Schmerzen; ihr Gesicht war blass und glänzte vor Schweiß, doch ihre Lippen waren in finsterer Entschlossenheit fest zusammengepresst.
Er sprach sie auf Französisch an. »Alles, was in diesem Raum hier geschieht, liegt in Ihrer Hand«, erklärte er. »Die Entscheidungen, die Sie treffen, die Dinge, die Sie sagen, werden Ihnen entweder unerträgliche Schmerzen eintragen oder Erleichterung bringen. Es liegt ganz und gar bei Ihnen.«
Sie gab keine Antwort. Sie hatte zwar Angst, doch von Panik war ihr nichts anzumerken. Eine harte Nuss, dachte er, das sehe ich jetzt schon.
»Erzählen Sie mir doch zuerst einmal«, sagte er, »wo genau in London das Hauptquartier der Special Operations Executive ist.«
»Regent Street 81«, sagte sie.
Franck nickte. »Ich will Ihnen etwas erklären: Mir ist natürlich klar, dass die SOE ihre Agenten anweist, bei einem Verhör nicht zu schweigen, sondern mit Lügen zu antworten, die schwer nachzuweisen sind. Da ich dies nun einmal weiß, werde ich Ihnen viele Fragen stellen, auf die ich die richtigen Antworten bereits kenne. So kann ich feststellen, ob Sie mich belügen. Also, wo in London befindet sich
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